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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1920)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Entgiftung, 1: Der innerste Feind
DOI Artikel:
Bonus, Arthur: "Dilettantismus"
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0229

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vergeht über kurz oder lang. Wir aber stehen abermals vor der Frage:
gibt es noch tiefere Quellen als diese?

at überhaupt eine Verkrampftheit der Volksseele wie diese eine „Quelle" ?
^/Ist dieses Mißtrauen nicht vielleicht, in neuer, gleichsam modernisierter
Gestalt das alte „Grbübel" der Deutschen, die moderne Form ihrer
geschichtlich bekannten und sprichwörtlichen Ilneinigkeit und Eigenbrötelei?
Es mag vielen so scheinen. Kennen wir doch von Iugend auf alle in nahezu
allen deutschen Gauen typisch mißtrauische und mißgünstige Menschen, deren
Wesen uns Iahr nm Iahr zur Last ftel, obwohl ihre öffentliche Macht gering
war. Vielleicht erleben wir jetzt, da sich mit Rathenau zu reden, die letzte
„Aufzehrung der Oberschicht", die Vermischung aller Schichten und also
der Emporstieg niedergehaltener Massen vollzieht, vielleicht erleben wir
eben dadurch das Ausbrechen eines Mißtrauens und einer Mißgunst, die
in der Tiefe seit Iahrhunderten schwelten? Grauenvoll ist dieser Gedanke,
und doch muß auch er gedacht werden.

cv>ur eine einzige andere Möglichkeit scheint mir noch offen. Wtr alle
-^»und Alles um uns, das wissen wir, sind Ktnder und Frucht der herrschenden
Lebensordnung. Wir dünken uns frei geboren, nach der Bestimmung
unseres leiblich--seelischen Erbtums und unseres „Schicksals" aufwachend.
In Wahrheit umschlingen und binden uns vom ersten Lebenstage an
tausend gesatzte Ordnungen, tausend anerkannte Äberliefernngen, tausend
Sitten und Gebräuche, feststehenLe Vorstellungen und Meinungen, alle
uns fonnend und unser Wesen mitgestaltend. Die heute Lebenden sind so
Kinder einer kapitalistisch-mechanistischen Ordnung. In ihr herrschte, un--
bestritten, Kampf jedes gegen jeden, entgeistete und entseelte Arbeit, Klassen--
zerklüftung, Klassenhaß, Klassenkrieg, Reingewinnstreben, trübe Luft, in
deren Dunkel der einzelne seinem Glück nachjagte. Kann solche Lebens--
ordnung anderes hervorbringen als Mißtranen und Mißgunst? Ernten
wir vielleicht heute die bitterste Frucht unserer allzu langen Duldsamkeit
gegen die vergehende Ordnung? And wehrt sich vielleicht diese sterbende
Ordnung gegen eine neue, kommende, indem sie ihr letztes Gift ver--
spritzt, indem sie angesammeltes Mißtrauen emporwuchern läßt, das uns
hindert, gemeinsam neue llfer zu suchen? Ilns, die wir ja nur sachlich
und verträglich zu sein branchten, um die neue Ordnung starken Willens
schasfen zu können!

Dann bliebe uns die eine tzoffnung: mag die neue Lebensordnung aüch
sehr langsam, unter Blut und Tränen und gegen gewaltige innere und
äußere Widerstände erst herankommen, vielleicht kommt sie doch noch
eher als bis das Mißtrauen jedes gegen jeden uns zu fernerer Volks--
entwicklung unfähig gemacht hat. Bis dahin aber sehe jeder auf das
Seine: wenige Sünden wiegen heute so schwer wie Mitschuld an der
Verbreitung des Verräter-- und Falschspielerwahnes. Wenn «iner uns
vollends vernichten kann, so ist es dieser, der innerste Feind.

Wolfgang Schumann

„DilettanLismus"

^^er Stoff der Wissenschaften hat sich heute so gemehrt, daß man Fach-
>-DImann nur mehr auf schmalen Teilgebieten sehr eng begrenzter Wissen-
schaften ist. Der Fachmann auf dem Gebiet der deutschen Geschichte
zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges fühlt sich bereits als Dilettant in der

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