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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI issue:
Heft 17 (1. Juniheft 1920)
DOI article:
Schumann, Wolfgang: Entgiftung, 1: Der innerste Feind
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0228

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munismus in siedelungsmäßiger, am vierten Ort Kommunismus in bol-
schewistischer Form? Memand weiß auf solche Fragen Antwort. „Berett
sein" ist diesmal wirklich „alles".

Gibt es eine Hilfe wider Verhetzung und Mißtrauensausfaat? Gründliche
Reform und ernsthafte Sozialisierung der Presse könnte manches
bessern; sie ist auch möglich, aber es scheint, als habe keine Regierung den
Mut oder die Kraft, um diese große und verantwortungvolle Aufgabe an°
zugreifen. And so groß sie ist, es müßte noch tiefer Wirkendes geschehen,
noch Entscheidenderes, wenn überhaupt noch etwas helfen kann. Am nur
einen Rat, eine Möglichkeit des Aufstiegs zn finden, müssen wir die
Quellen des allseitigen Mißtrauens ergraben. Viele haben geschwind eine
Antwort zur Hand auf die Frage nach diesen Quellen. „Vier oder gar:
fünf Iahre lang," sagen sie, „ist das deutsche Volk von seiner Regierung
belogen worden. Kann es da noch Vertrauen zu irgendeiner Äußerung
»von oben«, aus Führerkreisen, haben? Und vier Iahre lang ist das Prole--
tariat auch von seinen sozialdemokratischen Führern wenn nicht belogen,
so doch irregeleitet, gegen seine Interessen, gegen das wahre Volksinteresse
geleitet worden. Kann es da noch Zutrauen zu ihnen haben?" Erstens:
Führer, welche die Gefühle irreleiten, brauchen deshalb weder Lügner,
noch Verräter zu sein; wer ruhig denkt, sieht in ihnen eben Führungs-
unfähige. Allerdings, es ist tief zu beklagen, daß in Berlin und auf
den Regierungssesseln noch so viele amten, die seit sM ihre politische
Anbegabtheit reichlich bewiesen haben. Zweitens: „Aber eben diese
Führer," könnte man einwerfen, „welche sich angeblich der Irreleitung
der Massen schuldig gemacht haben, wurden doch von eben diesen Massen im
Anfang dieses Iahres (1919) wieder gewählt und bestätigt!" Gewählt — ja,
bestätigt — nein. Man überschätzt bei weitem die innere Tragweite einer
Wahl, wenn man glaubt, sie bedeute ein persönliches D auer-Vertrauens-
votum für die Gewählten. Stelle man sich doch den Wahlvorgang einmal
anschaulich vor. Zunächst: wer präsentiert die Kandidaten? Nicht die
Wähler, sondern die Partei--Sekretäre und Führer, also dieselben, welche
der Irreleitung beschuldigt sind. Es würden vielfach ganz andere Listen
zustande kommen, wenn eine Wahltechnik erfunden wäre, die wirklich die
Wähler zu Herren des Wahlgeschäfts macht. Dann aber: die Listenwahl
verknüpft willkommene mit unwillkommenen Kandidaten in unauflöslicher
Weise; wer drei von fünfzehn Kandidaten einer Liste für ungeeignet hält,
kann nichts tun als eine andere Partei oder gar nicht wählen; diese Zwangs-
lage des Wählers verändert das Bild des Wahlergebnisses stark zugunsten
der Parteibureaukratie. Drittens aber: die Entscheidung der Wähler wird
tief hinein beherrscht von Zeitungen und Wahlreden. Tausende haben es
mit den heute Gewählten „noch einmal veHucht", und werden und müssen
es immer wieder mit ihnen „noch einmal versuchen" — auf eine Rede, einen
Auffatz hin, weil sie keine besseren Kandidaten vorfanden, keinen andern
Ausweg wußten. Sie haben nicht genug bedacht, daß eine Wahlhandlung
auf langc hinaus enffcheidet, daß man den Gewählten nicht abberufen
kann, wenn die Enttäuschung über ihn eintritt. Nicht daran gedacht? Nein
denn es gleicht eine Wählerschaft weitaus mehr dem Kinde als dem
einzelnen, klar blickenden und vorausschauenden Manne.

Nach alledem „bleibt etwas daran", daß eine Quelle des heutigen Zu°
standes im Kriege enffprang. Aber wir wären glücklicher als wir sind
wenn diese die einzige wäre. Was nur aus der Zeitgeschichte geboren isff
 
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