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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 13 (1. Aprilheft 1920)
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Bonus, Arthur: "Wo steckt der Verrat?": ein Gespräch
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Lebensmittelnot und Regierungsmacht
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0030

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Das Pflichtgefühl jener entschied vielleicht, daß, wie man sich selbst
seinem Volk opfern mnsse, so sein Volk der Menschheit.

„Welch ein Ikngedanke! Aber wenn sie ihn faßten, wie genau, wie
peinlich genau nrußten sie aufpassen, daß sie ihr Volk auch wirklich der
Menschheit opferten und nicht etwa einem andern Volke, einem Volke
womöglich, das dem Menschheitgedanken noch ferner stand als das eigene!
Unsre Verräter haben ihr Volk an die Feinde verraten. Ist das nicht reiner
richtiger Verrat?«

Ietzt sind Sie, wo ich Sie haben wollte, als ich meinte, es wäre viel-
leicht wirklich Verrat gewesen, nur wisse man meist nicht, wo er stecke. Hier
steckt er. Diese Leute opferten nicht ihr Volk, sie opferten ihre
Sache. Sie opferten nicht ihr Baterland der Menschheit, sondern sie ver-
rieten die Menschheit an Völker, die so weit vom Ideal der Menschheit und
der Völkerversöhnung entfernt waren, wie dieser Friedensschluß und was
seitdem geschieht, es zeigt. Ich glaube, daß die meisten von ihnen schon
jetzt über die Revolte anders denken als, damals.

Wir haben, scheint mir, mit dieser Einsicht einen großen Vorteil ge-
wonnen. Solange wir den Verrat, der vorgekommen ist, in die Gesinnung
der Menschen verlegen, die an ihm schuldig sind, bleiben wir bei dem ver-
bitternden gegenseitigen Beschimpsen und kommen nicht zu der nötigen
Einigung. Nach dem, was wir uns jetzt klar gemacht haben, handelt es sich
vielmehr unr eine Frage der Klugheit, des Geschicks, der Nmsicht, vielleicht
allerdings auch des Mutes. Hätte die Revolte hüben und drüben zugleich
zum Ausbruch gebracht werden können, so läge alles anders und wir
wären einer wirklichen Versöhnung näher. Sobald wir die Sache so sehen,
kann dann auch die Gegenseite sich fragen, was sie getan und versäumt
habe, um das geduldigste Volk Europas zur Auflehnung zu bringen. Man
rechne die beiderseitige Schuld gegeneinander auf und fange ein Neues an,
darin die gemachten Erfahrungen verwandt werden. Bonus

Lebensmittelnot und Negierungsmacht

m l.. September brachten alle Zeitungen den Aufruf des Ernäh-
rungsministers, welcher, erfüllt von der Befürchtung, die Versorgung
^^"weiter Kreise der Bevölkerung könne durch Verschleppung der Ernte
gefährdet werden, sich mit Worten eindringlichster Mahnung an alle wendet;
er beschwört, er warnt und droht schließlich mit einem für Osterreich un°
gewöhnlichen Nachdruck; die Arreststrafe solle im höchsten Ausmaß neben
der Geldstrafe gegen Käufer und Verkäufer zur Anwendung kommen,
welche die staatlichen Bestimmungen umgehen und sich mit dem Schleich-
handel befassen. Vor allem wird der Tauschhandel hervorgehoben, der
heute in der Form auftritt, daß die Städter scharenweise das flache Land
überfluten, um gegen Hingabe von Tabak, Zucker, Bettwäsche, Porzellan,
Schuhen, Schmuck, Möbeln und sonstiger Habe sich Kartoffeln, Fett, Mehl
und anderes zu verschaffen.

Die traurigsten Zeiten des untergehenden römischen Reiches sind durch
ähnliche Bestimmungen charakterisiert. Auch damals sollten barbarische
Strafen die Durchsetzung der Höchstpreise, der Steuerbestimmungen und
anderes erzwingen. Der grundsätzliche Mißerfolg dieser Maßnahmen sollte
alle jene bedenklich stimmen, welche die Autorität des Staates mit so
schweren Aufgaben belasten. Wird die Drohung nicht verwirklicht — und
 
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