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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 14 (2. Aprilheft 1920)
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Fischer, Eugen Kurt: Erinnerungsbücher von Isolde Kurz
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0099

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fessorenhäuser, in denen häuslicher Kleinkram sich mit höchstem Ideenkult
vertrug. Die Mutter, die gütige, lebenslustige und zarte Aristokratin mit
dem revolutionären Herzen und der großen Arbeitskraft im zerbrechlichen
Körper, die Brüder und die gemeinsamen Iugenderlebnisse in einer rein
griechischen Gedankenwelt, die ihnen bei anderen Kindern den Schelt--
namen „tzeidenkinder" eintrug, der kindliche Fluchtversuch mit deM Bruder
Erwin, dem nachmaligen Bildhauer, die ersten dichterischen Arbeiten und
Abersetzungen aus fremden Sprachen, die russischen tzausfreunde und der
französische Revolutionär, der den Sozialismus in Tübingen einbürgerte,
die Iahre Sechsundsechzig und Siebenzig und der Streit um Groß-- oder
Kleindeutschland, die allmähliche Vereinsamung des so ganz „anders"
gearteten jungen Mädchens, das es schließlich in der Philisterstadt nicht
mehr aushielt und nach München entwich, das alles ist oft ohne äußeren
Zusammenhang geschildert, aber aus der inneren Einheit dieser Dichter--
persönlichkeit, die die schwere Nachdenklichkeit des Vaters mit dem Schön--
heitswillen der Mutter vereinte und beide Gaben durch ein außergewöhn-
lich reiches Leben zu höchster Produktivität entwickeln konnte. Daß eines
der schönsten Kapitel vom Tode und vom Andenken ihres Vaters handelt,
rundet das Bild dieser Frau ab, die es sich zur tzauptaufgabe gesetzt
hat, den Dichter Hermann Kurz, den viel zu wenig Gekannten, seinem
Volke näher zu bringen. Ihre zahlreichen Beziehungen zu anderen Großen
haben sie bei der Lösung dieser Aufgabe vor Einseitigkeit bewahrt und
ihre Kunst läßt all diese Erlebnisse als Bruchstücke eines Glaubensbekennt-
nisses zum Griechenmenschen als dem Endziel ihrer Sehnsucht erscheinen.

E. K. Fischer

Lose Blätter

Aus „Hermann Kurz" von Isolde Kurz

^^-^ackt und bloß wie ein aus dem Neste gefallener junger Vogel war
/ Hermann Kurz aus dem Ehninger Vikariat in die Welt hinausgetreten,
^ ^und nun galt es, aus Nichts sich einen Nnterhalt zu schaffen. Welch ein
Glück, hätten seine härter gearteten Vorfahren das für ihn besorgt! Der see-
lisch verfeinerte Sprößling eines alten Geschlechts besaß dafür nicht mehr die
nötige Unempfindlichkeit und die harten Ellbogen, noch weniger hatte er
gelernt, sich zu ducken und zu schmiegen. Von ritterlichem Naturell, höchst
impulsiv, aber ebenso leicht zurückgestoßen, innerlich weich und äußerlich
spröde, ohne alle Weltklugheit und ohne Gönner stand der lchutzlose Iüng-
ling der Welt gegenüber, mit keinem anderen Rückhalt als einem Häuflein
guter junger Gesellen, zwar bereit, einer für den anderen durchs Feuer zu
gehen, aber alle gleich mittellos und unerfahren.

Zwar zuerst sah ihn dieses neue Leben sehr verheißungsvoll an. Noch
in Ehningen, wo er die geheizte Stube mit dem alten Onkel teilen mußte,
und in der ersten Zeit seines Stuttgarter Aufenthalts war in rascher Folge
eine Reihe jener frischen, klassisch abgerundeten Novellen erschienen, die von je
die Bewunderung der Kenner gewesen sind. Der Dichter, der sie mit fliegender
Feder nur so Hingeworfen hatte, las sie jetzt Tag für Tag im „Morgen-
blatt" und staunte selbst über ihre Kunstreife. Nirgends ist hier eine Un°
sicherheit, ein Tasten oder Straucheln zu bemerken. Der Anfänger trat als
 
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