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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 19 (Juliheft 1920)
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Christian Morgenstern
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0333

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D

Christian Morgenstern

ie Freundschaft für Christian Morgenstern, der so früh gestorben
ist, war im Wachsen,- es wurden von Iahr zu Iahr ihrer mehrere, die
auf sein nächstes Buch warteten- und die ihn kannten, fühlten, wie
manches von seinem Wesen ihnen immer deutlicher unverlierbarer Besitz
wurde. Er war einer von deneu, die den schwersten Weg zu den Empfäug--
licheu geheu, er schrieb keine Romane, kein Theaterstück, nur Gedichte, und
auch diese nicht zudringlich und leicht nahbar. Er ist nie laut hervor-
getreten aus der Stille seines innerlich bewegten Daseins, und was er an
Liebe und Vertrauen besaß, dankte er allein sich selbst. Gedenkt man
des ersten seiner zehn Gedichtbände, so mag sich mancher, dem sein Er-
scheinen in der Erinnerung blieb, vom Zauberhauch dieser Bücher jugend-
lich erschüttert fühlen. „In Phantas Schloß" hieß es, und noch liegt der
Schimmer großen Wollens, aufjauchzender Freiheitfreude, jugendlich-gött-
lichen Schwunges über seinen rauschenden Versen, die den beschwingten
Fahrten tzolzens zu den „Gärten des Okeanos" kaum an Gewandtheit
und kaum an geistigem Schliff etwas nachgeben.

Die Augenlider schlag ich auf.

Ich hab so groß und schön geträumt,

Daß noch mein Blick in seinem Lauf
Als wie ein müder Wandrer säumt.

Schon werden fern im gelben Ost
Die Sonnenrosse aufgezäumt,

Von ihren Mähnen fließen Feuer
And Feuer stiebt vou ihrem Huf-
Hinab zur Erde kriecht der Frost.

And von der Berge Hochgemäuer
Ertönt der Aare Morgeuruf.

Nun wach ich ganz. Vor meiner Schau
Erwölbt azurn sich ein Palast.

Er bleicht der Felsenfliesen Grau
And lädt den Purpur sich zu Gast.

Des Quellgeäders dumpfes Blau
Verblitzt in heitren Silberglast.

And langsam taucht aus fahler Nacht
Der Ebnen bunte Teppichpracht.

All dies mein Lehn aus Phantas Hand!

Ein König ich ob Meer und Land,

Ob Wolkenraum, ob Firmament!

Ein Gott, des Reich nicht Grenze kennt.

Dies alles mein! Wohin ich schreite,

Begrüßt mich dienend die Natur:

Ein Nymphenheer gebiert die Flur
Aus ihrem Schoß mir zum Geleite,

Nnd Götter steigen aus der Weite
Des Alls herab auf meine Spur.

Ältere — man fiirdet dies oft — werden gegen solche Strophen leicht un-
gerecht, besonders wenn sie selbst sie veröffentlicht haben. Und niemand
 
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