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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 13 (1. Aprilheft 1920)
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Lebensmittelnot und Regierungsmacht
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Schumann, Wolfgang: Adolf Frey
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0036

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zumal ja nichts im Wege steht, trotz des organisierten Naturaltausches den
Bauern allmählich Gelegenheit zu geben, das von ihnen thesaurierte Noten-
geld gegen Waren einzutauschen. Ls handelt sich ja um Veränderungen
auf der Warenseite, für welche die Lmpfindlichkeit nicht groß ist, während
bekanutlich die Lmpfindlichkeit für Veränderungen auf der Geldseite sehr
erheblich ist. Eine Bestimmung, welche die Geldqualität der Noten änderte,
würde wohl sehr starkes Aufsehen erregen. Der ungeregelte Tauschhandel
wirkt auf die Valuta dagegen jedenfalls ungünstig ein, vor allem, weil
er das Vertrauen in die Staatsorganisation überhaupt erschüttert und
den Staatskredit empfindlich schädigt. Ls ist auch klar, daß in Geld aus-
bezahlte Frühdruschprämien, selbst wenn sie ihren Zweck zunächst erfüllen,
auf die Dauer nicht wirksam bleiben, weil der Bauer die teilweise Un-
iverwendbarkeit des erhaltenen Geldes feststellt. Auch führt die Aus-
gestaltung der Geldprämien leicht zur Assignatenwirtschaft.

Es ist dringend an der Zeit, das hier aufgerollte Problem endlich grund-
sählich in größerem Kreise zu erörtern. Die bisherigen Fälle durchge-
führter Tauschhandelsorganisation geben zwar gewisse Anhaltspunkte, sind
aber zur Beurteilung nicht ausreichend, weil ein ganzes System in seiner
Wirksamkeit sich oft wesentlich von einer Einzelmaßnahme im Rahmen
eines ganz anders gearteten Systems unterscheidet. Wie so oft auf dem
Gebiete gesellschaftlicher Lrscheinungen, muß ein Entschluß auf Grund
von Äberlegungen gefaßt werden. Ls handelt sich um das Ver-
sorgungssystem des nächsten Iahres. Allzu leicht kommt der Zeitpunkt,
wo es heißt: zu spät. Nur wer den Mut hat, auch große Dinge in An°
griff zu nehmen, vermag den Schwierigkeiten unsrer Tage erfolgreich zu
trotzen. Es muß endlich klargestellt werden, ob eine Tauschhandelsorganisa-
tion durchführbar und wirksam ist oder nicht. Das beharrliche Schweigen
der Theoretiker und Praktiker diesem schwierigen Fragenkomplex gegen-
über ist unwürdig und entspricht nicht dem Ernste der gegenwärtigen
Situation. Durch den Aufruf des Ernährungsministers muß diese Sache
irgendwie ins Rollen gebracht werden, soll nicht die Lebensmittelversor-
gung unter der erschütterten Staatsautorität bald empfindlich leiden. ^ In
schwierigen Zeiten, als die Erlassung gewisser Gesetze in Frage stand,
sprach Tiberius die beherzigenswerten Worte aus: „Die vielen Gesetze,
welche die Vorfahren erdachten, die vielen Gesetze, welche der göttliche
Augustus darüber gab, haben diesen Zustand nur noch mehr gefestigt,
jene, indem man sie vergaß, diese, indem man sie, was noch weit ver-
brecherischer ist, mißachtete. Solange man nämlich nach dem strebte, was
noch nicht verboten ist, muß man fürchten, daß es verboten werde, hat
man aber erst einmal sich über Verbotenes ungestraft hinweggesetzt, so
sind Furcht und Scham dahin."

Adolf Frey

^H-nsre Großvater haben das alles noch gekannt: Linnen und Woke,
I Wäsche und Kleid, Licht und Vorräte wurden daheim besorgt, um
'^'^einen Anzug, um ein Paar Schuhe, um einen Schrank ging nzan mit
„seinem" Schneider, Schuster, Tischler zu Rate, ein Kochgeschirr mochte
man beim Töpser erhandeln, für Gerät sorgte der Messerer und der
Spengler, ein Buch empfahl der Freund, und er besorgte eS vielleicht
auch. Der Besitz, der die Fcrniili« umgab, trug das Gepräge der Menschen,

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