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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 19 (Juliheft 1920)
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Schumann, Wolfgang: Max Weber
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0331

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Max Weber 1-

enn drese Zeilen unsere Leser erreichen, dürfte in den Zeitungen ge-
^lI H^standen haben, daß Max Weber einer der führenden National-

ökonomen unserer Zeit war, sich vor allem mit Agrarpolitik, Sozial-
politik, Wissenschaftslehre und Wirtschaftssoziologie, daireben aber auch mit
Religionsgeschichte, Parlamentarismus und Tagespolitrk beschäftigt habe,
daß sein eigentliches „Fach" aber Nationalökonomie gewesen sei. Das wäre
dann alles nur halb oder zu drer Vierteln wahr.

Max Weber rst ern Mann von ungeheuren und beinahe unheimlichen
Maßen und Spannungen gewesen. Weit mehr noch als Mensch denn als
Forscher hat er gewirkt. Wahrhast tragisch waren Gegensätze rn ihm gemischt,
die ihn innerlich ebenso tief sesselten, wie die schwere Nervenerkrankung,
welche sern Leben verdüsterte. Line rein-geistige, allesdurchdringende wissen-
schaftliche Begabung beherrschte ihn wohl zutiefst. Gleichviel, wo er ansetzte,
immer drang er, Probleme stellend und mit äußerster Klarheit durchformend,
auf den Grund; aber was er rnr Drnck erscheinen ließ, bedeutete fast nur
Absplitterungen einer wert umfassenderen Geistesarbeit, als man von außen
her erkennen konnte. Sern eingeborenes Ziel war universale, allseitige Er-
kenntnis der Zusamnrenhänge des inneren und äußeren Lebens der Men-
schen, ein Ziel für Giganten, das in Iahrhunderten nicht erreichbar scheint
und mehr Wrssen und Forschen voraussetzt als ganze Geschlechter von Ge-
lehrten haben und leisten werden. Selbstverständlich hat er das gewußt —
der schmerzliche Zug seines ganzen Wesens sprach wohl auch von diesem
leidvollen Wissen. Er selbst verfügte über staunenerregende Kenntnisse, nicht
nur auf seinen eignen Gebieten. Auf einem Spaziergang kam er einmal
ins Plaudern, und plötzlich entwarf er vor sernen Begleitern die Grundzüge
einer europäischen Mnsikgeschichte, um deren Scharfsinn und Tiefsinn ihn
alle Musikhistoriker hätten beneiden müssen. Ein andermal erzählte er von
Amerika und seinen politischen Verhältnissen, ein drittes Mal von Ilngarn
oder von Rußland, und immer schnitt sein Messer alles Oberflächliche
hinweg, die tiefsten Kräfte, die geheimsten ZusammenhLnge enthüllend; so
sind dort die Menschen, so das Klima, so die Tradition, so der Stil, un-
weigerlich entwickelt sich daraus dieses Bild des öffentlichen Lebens, der
Wissenschaft, der Religiosität, der Sexualmoral — und welche Bilder
zeichnete er dann, 'glänzend und erschütternd zugleich! Seine Veröffent-
lichungen wirkten dagegen sast nüchtern, und niemals hat er auch nur ver-
sucht, ein Gesamtbild der Gesellschaftsgeschichte zu geben, zu der er stets
Bruchstücke häufte. Warum? In ihm lebte ein asketisch-ernster Geist der Ver-
antwortung, der strengsten Wissenschaftlichkeit, welcher aus einigen wissen-
schafttheoretischen Schriften hervorleuchtete und auch seine herbe, rigorose
Stellungnahme im Soziologentag bestimmte. Dilettantismus war ihm un-
erträglich, und in gewissem Sinne galt ihm für Dilettantismus jcde Arbeit,
die nicht mit allen feinsten Mitteln und Hilfskünsten modernster Gelehrten-
technik erarbeitet war, also mehr als die Hälfte aller „Wissenschaft" von
heute. Er selbst vermochte eingestandenermaßen seine eignen Bedingungen
nicht vor allen Stoffen zu erfüllen, die ihn in irgend einem Zusammenhang
lockten, obwohl er z. B. für seine großangelegte „Wirtschaftsethik der Welt-
religionen" sowohl sprachwissenschaftliche, als auch archäologische und religions-
geschichtliche Sonderstudien in großem Nmfang betrieb. So sah er ein
unerhört grandioses Ziel vor sich, kannte auch die Wege dahin, mußte sich

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