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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 19 (Juliheft 1920)
DOI Artikel:
Arend, Max: Ein wiedergewonnenes Meisterwerk Glucks
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0322

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Ein wiedergewonnenes Meisterwerk Glucks

luck gehörle zu deu stärksten und kühnsten Eutdeckeru künstlerischer
U V^Möglichkeiten, welche die Musikgeschichte kenut. Zu seineu über-

raschendsten Griffen gehört der nach der Ballett-Pantomime.
Was er an Pantomimen vorfand, gehörte meist zur Gattung
der Posse. Er schuf die tragische Pantomime und erregte dadurch
die tiefste, manchmal eine geradezu leidenschaftliche Teilnahme seiner Zeit-
genossen und Mitarbeiter. Um f?60 gehörte zu seinen Mitarbeitern der
Ballettmeister Angiolini; dieser Mann ließ in französischer Sprache eiu
lange verschollenes, heute noch kaum gewürdigtes Heft: Programm und
ästhetische Einführung in das Don-Iuan-Ballett, erscheinen. Lr hatte das
Glück erlebt, Glucks innerste Absichten erfassen und mit ihm zusammen
verwirklichen zu können, und mit edlem Eifer legt er davon Zeugnis ab:

„Der Tanz kennt nicht das dramatische Mittel der Erzählung.
Die Zuschauer haben nur Augen, die Ohren nützen ihnen nichts, wir
müssen sie die ganze Handlung s chau en lassen. Daher ist dieEinheii des
Ortes mit unserer Kunstgattung unvereinbar. Wir müssen fortgesetzt
spielen und den ausgedehntesten Stoff in Minuten zusammendrängen: eine
Einheit der Zeit kann daher gleichsalls kein Gesetz des pantomimischen
Tanzes sein. Sicherer Führer ist uns die W ah r s ch ei n l i ch k e i t des
Werdens. . Dem pantomimischen Tanz ist jedes Stoffgebiet offeu.
„Wenn wir durch unser stummes Spiel jede Leidenschaft erregen köunen,
warum sollte uns versagt sein, den künstlerischen Versuch zu machen? Will
das Publikum sich nicht der größten Schönheiten unserer Kunst berauben,
so muß es sich daran gewöhnen, sich rühren zu lassen und zu weinen ..."
„Die Musik ist wesentliches Mittel der Ballettpantoinime: sie spricht, wir
inachen nur Gebärden. Es würde uns fast unmöglich sein, uns ohne Musik
zu geben,- je mehr sie dem, was wir ausdrücken wollen, angepaßt ist, desto
deutlicher könuen wir uns verständlich machen."

Ich enthalte mich einer weiteren Ausführung zu dieser unerhörten
Asthetik. Ieder Kunstbegabte sieht die Bedeutung.

Aber weiter finde ich soeben in den Hamburger „linterhaltungen" vom
November s<66 in deutscher Sprache desselben Angiolini völlig un-
bekanntes Programm zu Glucks Ballettpantomime „Semiramis", die, was
niemand seither wußte, am 3s. Ianuar l?65 in Wieu aufgeführt wordeu ist.
Ein Zufall hat uus handschriftliche, vielfach fehlerhafte Orchesterstimmen ,er-
halten, die in Darmstadt liegen, und mit denen niemand etwas anzufangen
wußte. Man hielt sie für ein apokryphes Werk Glucks, für eine Mapell-
meisterzusammenstellung aus Gluckschen Bruchstücken. And doch hat uns
ein anderer Zufall noch ein zeitgenössisches — bisher unbekanntes ^—
Nrteil über die Aufführung erhalten: „Semiramis, von Voltaire ge-
nommen, die von dem unsterblichen Gluck komponiert uud in Wien auf-
geführt wurde, machte fast, daß die Zuschauer vor Schrecken und Staunen
zitterten. Man war zweifelhaft, ob die bewunderungswürdige Wirkung
von dem schrecklichen Inhalte, von der Stärke und Simplizität der Aktion
oder von dem Ausdruck und der Wahrheit der Musik herrühre."

Hier ist der „Plan des Balletts" nach Angiolinis Morten: „Aus der
Tragödie des Herrn von Voltaire sind die Personen Semiramis, Ni-
nias, Oberpriester Oroes und insbesondere der Schatten des Ninus
beibehalten worden . . ., die bloß episodischen Personen habe ich weglassen
 
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