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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft 1920)
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Fischer, Eugen Kurt: Erinnerungsbücher von Isolde Kurz
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0097

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als solches von der Richttgkeil und Vollständigkeit seiner historischen Daten
unabhängig ist und das daher fast nur Erkenntniswert sür das geistige
Bild des Biographen hat. Die beste Biographie gibt stets der Dichter-
forscher — man denke an Ahlands „Walter von der Vogelweide" oder
an Wilhelm von Humboldts Aufsatz über Schiller. Isolde LArrz könnte
eine solche Biographie, die das Philologische mit der künstlerischen In°
tuition verbindet, leisten, aber sie verzichtet, selbst da, wo sie als dichtende
Tochter eines Dichtervaters der Begeisterung zu verfallen fürchten müßte,
auf diesen Weg und wählt die schlicht erzählende Form des Lrinnerungs-
buches, das Vollständigkeit weder als Biographie, noch als episches Kunst-
werk anstrebt, sondern „nur" — Wesentlichkeit. Der Vater, der Gatte,
der Freund, der Dichter, der Politiker, der Berufsmann (Pfarrverwefer,
Redakteur, Universitätsbibliothekar) sind mit ein paar Strichen novellistisch
gezeichnet, und der tzintergrund — Maulbronner Seminar, Tübinger
Studententum, Landpfarre, der Dichterkreis um den Grafen Alexander
von Württemberg, das adlige tzaus der Schwiegereltern, das kleinstädtische
Obereßlingen, Kirchheim und das „andere" Tübingen aus der Alters-
perspektive — diese Wandelkulisserie zieht in buntbemalten Ausschnitten
vorüber. Wechselweise atmen wir mit ihr die Luft jugendlichen Ge°
nießens, ernster Arbeit, gemeinsamen Schwärmens und Planens mit an-
deren, politischen Meinungskampfes und allmählicher Vereinsamung. So
geht einem beim Lesen dieses Buches die Sonne langsam auf und unter,
über jedem Bilde liegt ein ganz bestimmtes Licht, und man spürt den farbigen
Glanz immer düsterer werden. Nur in den kargen Szenen zwischen Vater
und Kindern kommt jedesmal ein Lichtstrahl durch die Tür und beleuchtet
die Gruppe, die die Tochter so liebevoll aus der Erinnerung malt. Alles
ist aber schon aus der Ferne gezeichnet und man spürt die harmonischen
Auswirkungen des klassischen Italiens, in dem es entstand. „Floren-
tinische Erinnerungen" nennt die Dichterin das Gedenkbuch ihrer
zweiten tzeimat. Die Schilderung der Renaissancestadt ist fast ein Prosa-
gedicht. Da ist nicht das Florenz des Baedekers, der Antiquare und
der Kunsthistoriker, sondern ein immer wieder erst neu zu entdeckendes, in dem
drei Welten zusammenleben, die alte, die nur noch aus Denkmälern, Bauten
und Bildern spricht und doch in allen Gassen spukt und nächtens oder an
Volksfesten wieder auflebt, die neuere der achtziger Iahre, die das Königreich
und das Engländertum mit sich brachte, und die der deutschen Kolonie
jener seltenen Tage, die Adolf tzildebrand, tzans von Marees, Arnold
Böcklin, Karl Stauffer-Bern und Konrad Fiedler in Florenz sahen. Was
uns die Dichterin von diesen Künstlern an kleinen Erinnerungen zu er-
zählen und durch Charakteristiken zu geben weiß, macht allein ein wesent-
liches Kapitel deutscher Künstlergeschichte aus. Und wieder gelingt ihr ein
Wagnis: die Schildernng ihrer Brüder Edgar und Alfred, die beide als
Arzte in Italien lebten und ohne jede Ruhmrederei als ganze Menschen
und künstlerische Forscher- und tzelfernaturen gezeichnet werden. Was
diese beiden Männer als Chirurgen, Klinikleiter und praktische Arzte leisten
konnten, eben, weil sie mehr waren als nur Mediziner, ist in so abge-
schlossen künstlerischer Form erzählt, daß jeder Verdacht einer Familien-
Selbstberäucherung schwindet. Den Schluß bilden Naturschilderungen. Man
geht mit durch die gewaltigen Marmorbergwerke. denn die Dichterin macht
uns ja jeden Schritt Weges glaubhaft, man erlebt die schreckhaften Erd-
beben in Florenz und erlebt Florenzens Blütentage mit. Es gibt wenige

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