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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI issue:
Heft 16 (2. Maiheft 1920)
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Fischer, Eugen Kurt: Wolfram von Eschenbach: zu seinem 700. Todestage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0198

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Mitgefühls. Chrestien will dte Frnge: „Wem dient man mit dem Gral?".
Wolfram läßt Parzifal nach den Leiden des Anfortas fragen ohne Neben-
gedanken an irgend ein Woher oder Wozu. „Was fehlt dir? Kann ich
dir helfen?", diese Frage der christlichen Nächstenliebe soll Parzifal von
sich aus stellen. Er kann sie stellen, nachdem er Leiden und Freuden
der Welt kennen gelernt und die Grenzen des Menschlichen schmerzhaft
verspürt hat. Hartmann von Aue hat in seinem armen Heinrich die
Idee der selbstlosen Aufopferung künstlerisch gestaltet und sich damit Wolf-
rams Lrlösungsidee genähert insofern, als beiden die seelische Prüfung
des Helden das Wichtigste ist. Tiefes Mitleid mit dem Menschengeschlecht
und volles Verständnis für die Höhen und Tiefen des Lebens stellt Wolf-
ram neben zwei Künstler unserer Zeit, neben Richard Wagner, der ja
selbst den Parzisalstoff gestaltet hat, und neben Gerhart Hauptmann, der
so recht eigentlich als ein Dichter des Mitleids anzusprechen ist, ob er in
die sozialen Niederungen („Ratten", „Die Weber") oder in die seelischen
(„Gabriel Schillings Flucht") hineinleuchtet. Mit einer andern Tendenz
aber nimmt Wolfram eine Idee des Aufklärungszeitalters vorweg: die
der Toleranz. Der „gesprenkelte" Halbschwarze Feirefiz, der Heide, wird
mit der stolzen Gralsherrin Repanse de Schoye vermählt und genießt alle
Achtung des christlichen Ritters. Späterhin trägt er sogar als Priester
Iohannes das Gralskönigtum nach Indien. Er wird auch schon vor
seiner Bekehrung in sehr freundlichen Farben geschildert. Wolfram nimmt
an Hautfarbe und Nngläubigkeit keinerlei Anstoß.

Im „Willehalm" ist eine Brautraubgeschichte erzählt. Die Heiden-
prinzessin, um die sich, ähnlich wie im König Rother und der Gudrun,
schwere Kämpfe entspinnen, wird als schmerzensreiche Frau geschildert,
die durch Glauben und Entschlossenheit die schwere Zeit übersteht und dem
geliebten Gatten die Treue hält. Das Menschliche, Einmalige ist be-
tont, nicht das Zufällige oder das Typische: dieser Mensch, nicht die
geraubte Braut, ein Seelenkampf, nicht bloß die Kette von Abenteuern,
die ihn hervorruft.

Der „Titurel" macht Schluß mit der französischen Tradition. Statt
der Reimpaare gibt er zarte, schmiegsame lyrische Versformen. Aus den
paar Bruchstücken, die von diesem Lobgesang auf die Liebe Sigunens und
Schionatulanders erhalten sind, möge hier eine Probe eingeschaltet sein:
Wer solche Minne hat, daß er
Durch Minne gefährde
So lieben Freund, wie du mir bist,

Mir der liebste Freund auf der Erde,

Solch gefährlich Ding ist mir nicht Minne.

Gott weiß wohl, ich wußte

Nie von der Minne Verlust noch Gewinne.

Minne, ist das ein Er?

Kannst du Minne beschreiben?

Ist es ein Sie? Und komMt mir
Minne, wo soll ich mit ihr bleiben?

Soll ich sie verwahren bei der Docken?

Fliegt sie uns auf die Hand,

Oder ist sie wild? Ich kann ihr wohl locken?

Am die Sprache Wolframs ist viel herumgeredet worden, weil man
sie als Hof- oder Volkssprache festlegen zu sollen glaubte, da bei anderen

(6N
 
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