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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 16 (2. Maiheft 1920)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0214

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Konzertbillett kaufen (freilich keines ge-
rade zur Leonhards°„Tribüne" nrit
ihren Großmannspreisen), aber wie
viele ziehen die teureren Äergnügungen
in Tanz- uird Amüsierlokalen vor.
G e h t der Arbeiter ins Theater, so
zeigt er sich allerdings „aktiver" als
der Bürger, aber doch nur in seltenen
Fällen erlebnisfreudiger. Daß ihm
wichtige Teile der Handlung nnver--
ständlich bleiben, erklärt sich aus seiner
schlechten Vorbildung und mangelnden
Äbung im Zuhören. Daß er aber über
die ernstesten Augenblicke, über die
Dichterworte von Ewigkeitswert so oft
ahnungslos lachen kann, weist doch
auf eine Aufnahme-Schwerfälligkeit
hin, die sich selbstverständlich geschicht-
lich erklären, aber nicht als ihr Gegen--
teil anpreisen läßt. Bei Soldatenauf--
führungen klassischer Dichtwerke habe
wenigstens ich geradezu Grauenhaftes
an Roheit der Zwischenrufe und an
Foyer-Gesprächen gehört. Schluß: Wir
haben vorläufig in der Tat kein
geschlossenes Thcaterpublikum, keine
„Bühnenkunstgenreinde" mehr und die
geistesaristokratischen vder zum Teil
auch nur snobistischen Bestrebungen, ein
„zweiseitiges Künstlertheater" zu schaf-
fen, in dem dnrch Innehaltung einer
gewissen gemeinsamen Höhe zwischen
Dichter und Spieler hier und Hörer
dort eiu einheitliches Kunsterlebnis ge-
schafft werden sollte, waren gar nicht
so ungeschiekt. Denu sie strebten für
einen Teil des Volkes das au, was
fürs ganze aus Mangel an großer
Kunst nnd Kunsterziehung nicht gege-
ben werden konnte. Heute gibt es kein
Theater für alle. Aber es kann Thea-
ter für religiöse Menschen, für
Wahrheitssucher, für literarische Fein-
schmccker, für Deutschnationale, für
Sozialdemokraten usw., für vergnü-
gungssüchtige Bourgeois, für eben-
solche oder aber rachsüchtige Prolstarier
geben, je nachdem man vorwiegend
mittelalterliche Mysterienspiele, Welt-
anschauungsdramen, Sternheim, Ho-
henzollernstücke, Parisiana oder soziale
Anklagedramen aufführt. Es werden
dann rcligiöse, ethische, intellektualisti-
sche, patriotische, lüsterne oder klassen-
politische Megungen in den Veschau-
«rn erweckt, aber nicht unbedingt auch
künstlerische. And doch ist der Weg

zur Gesundung schon beschritten. Im
Klassentheater bilden sich Kerne neuer
Erlebnisgemeinschaften, die sich dann
mit denen verwandter Theatergattun-
gen berühren können, wenn die Kunst
über die Tendenz siegt. Auszuschal-
ten braucht sie sie deshalb nicht,
sie muß ihr nur die herrschende
Stellung nehmen. Ganz allmählich
werden die Besucher der ernsthasteren
Theater vom Stofflichen zum Wesent-
lichen geführt werden können, Bürger
so gut wie Arbeiter, bis schließ-
lich zwei Theaterformen übrig blei-
ben: die Kunststätte und die Amüsier-
halle. Dre erste wird von den reiferen
Menschen aller Volksklassen be°
sucht werden, die zu kosmischem Erleb-
nis Kraft habcn, die zweite vom größc-
ren Rest des Publikums. Erlebnis des
Göttlichen eint zur Kunstgemeinde, nicht
Haßgemeinschaft. Wo 'das Theater
„Tribüne" ist, kann es nicht zugleich
Lempel sein. Wo es nicht Tcmpel
sein kann, hat die Kunst keins heimat.
Der Weg zum einheitlichen Volksthea-
ter ist genau so weit wie der zum ein-
hcitlichen Theatervolk, wie die Griechen
es waren. Ohne Kulturgemeinschaft
ist beides nicht möglich und doch ist
beides nötig. Dic Gründung künst-
lerischer Volks-Wandertheater imStile
des für Württemberg geplanten, wird
diesem Ziele sicherer entgegensühren,
als jede Anklage- und Selbstverherr-
lichungstribü'ne, auch wenn man „nur
Shakespere und Schiller" auf ihnen
spielt. K. F,

„China" und China im Film

er Filmschlager „Die Herrin der
Welt" hat in letzter Zeit die Runde
in den größeren deutschen Kinotheatern
gemacht. Es ist ein Schaufilm, der in
reichem Szenenwechsel durch die halbe
Welt und die Halbwelt zugleich führt
und die berühmten curopäischen „Sit-
tenbilder" auch einmal durch ostasiatische
ergänzt. Run haben die in Deutschland
studierenden Chinesen einen Protest ge-
gcn die Vorführung und die Ausfuhr
des Films verfaßt, weil er erstens
dem Europäer ein vollständig falsches,
schlimmes Bild vom Chinescntum gibt,
und zweitens, falls er je in Chiua vor-
geführt würde, eine starke und im gan-
zen unberechtigte Mißstimmung gegen-
 
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