er war gewiß nicht der Träger welt-
umfassender Gedanken und Verantwor-
tungen, scin Bezirk war das Nahe, das
Tägliche, der enge Kreis des Körpers
— den er lange vor der modernen Iu-
gend „entdeckte"! — und der Seele dcs
Einzelnen, aber innerhalb dieser Gren-
zen war er der österreichische Mensch
des österreichischen Feingehalts, der
österreichischen Kultur, der österreichi-
schen Leuchtkraft. Und sie strahlt auch
ihr schönes Licht über seinen „Lebens-
abend" hin.
Wenige Worte genügen über R. H.
Bartschs „Heidentum" und R.
Haas' „Michel Blank und seine Lie-
sel". Bartschs Roman dient einer Lehre
von der Lebensführung. Wit dem
Ernst, der vorerst dem Religiösen allcin
zukommt, tritt Bartsch ein für die Hin-
gabe an die objektive Matur, für das
innere Lauschen und Einswerden, für
die Wiedererweckung der ungeschäftigen
Freude. Daneben prcdigt (und schil-
dert!) er lebhaft die Lust des Sinnen-
genusses. Dies ist das echt österrei-
chische Heidentum, das er 'zeigt, —
Sinnenglück und Seelenfrieden, beides
echt, rein, nnverquält. Man kann sich
diese höchst zeitgemäße Tendenz wohl
gefallen lassen. Aber schmerzlich vcr-
mißt man einerseits die Vertiefung in
die Problematik der Sache, anderseits
die dichterische Gestaltung der Träger
dicser Anschaunngen, Bartsch bleibt
diesmal vberflächlich nnd schwächlich wie
kaum je. Haas bietet anscheinend dcn
Roman eines sonnigen, lauteren, her-
vorragend tüchtigen deutsch-österreichi-
schen Kraftmenschen, der in einer gnt
und lebendig geschilderten Kleinstadt
(wohl in Böhmen) allerlei Ehe- und
sonstige Schicksale erlebt und nach etli-
chen Konflikten zn gesicherter Stellung
kommt. Fn Wahrheit besteht der ge-
schickt komponierte Roman ans einer
Art anschaulicher Vergleichung meh-
rerer männlicher und weiblicher Lebens-
läufe und Lebensanschauungen, und der
Verfasser fügt es klüglich so, daß der
Biedersinn, die Treuc, die Heiterkeit,
die innere Echtheit und Geradheit, Ar-
beitsamkeit und Tüchtigkeit in jeder
Form belohnt crscheinen, während den
anderen mehr oder weniger Elend zu-
geteilt wird. Das ganze Buch bekommt
dadurch trotz der sehr feinen Einzel-
partien und der reichen, darin strö-
menden Gestalten- nnd Wirklichkeit-
Fülle, trotz der glntvoll-lebendigcn,
kräftig-eigenen Sprache des Verfassers
etwas Raives und Kindliches, das wir
heute nur mit Mühe ertragen. Hier
ist, etwas idealisiert zwar, aber doch
deutlich genug dasjenige Ssterreicher-
tum, das wir mit Herzlichster Teilnahme
in seiner natürlichen Frische und Lie-
benswürdigkeit beobachten, das aber
wegen seines Mangels an Weitblick
und an Kraft zum Schicksal im Lebens-
kampf den schwersten Gefahren aus-
gesetzt war und ist. S ch.
Altenberg, P., Mein Lebens-
abend (S. Fischer, B.); Vahr, H,, Die
Notte Korahs (S. Fischer, B.);
Bartsch, R. H., Heidentum (Staack-
mann, L.); Großmann, Die Partei
(Ullstein u. Eo., B.); Haas, R., Michel
Blank und seine Liesel (Staackmann,
L.); Kreutz, I. M,, Die große Phrase.
2 Bde. (M. Rascher, Zürich).
Häuser und Straßen und der Chinese
darin
<^ch ging mit einem Ehinesen durch
<)die Geschäftsstraßen ciner deutschen
Großstadt. Wir sprachen vom Fami-
lienleben, der Fremde rühmte die Ge-
schlossenheit der Familie in seiner Hei-
mat und darüber hinaus der Geineiude,
des Stammes, unter günstigen Bedin-
gungen auch ganzer großer Staatswesen.
Als ich ihm — etwas verlegen — er-
klärte, das alles habe es bei uns auch
gegeben und werde es wieder geben,
wies er mit einer Gebärde auf die
Häuserreihen dcr Straße, dann auf ein
einzelnes Gebäude und fragte: „Was
gehört zusammen?" Ich blieb .ihm
die Antwort schnldig, denn wirklich,
es gehörte nichts, rein gar nichts zu-
sammcn. Iedes Haus war wie ein Ver-
rückter mit Firmenschildern und häß-
lichcn Plakaten behängt und kümmerte
sich, was Baustil, Größe, Geschoßhöhe,
Baumaterial oder Anstrich betrifft,
scheinbar grundsätzlich nicht um den
Nachbarn. Wie ein Haufen durcheinan-
derschreiender Händler, so standen diese
Häuser Spalier und streckten ihre kärha-
tidengetragenen Erker und Valkone wie
rechte Protzenbäuche über die menschcn-
wimmelnden Bürgersteige. Am einen
Errde der Straße sah man ein fürchter-
270
umfassender Gedanken und Verantwor-
tungen, scin Bezirk war das Nahe, das
Tägliche, der enge Kreis des Körpers
— den er lange vor der modernen Iu-
gend „entdeckte"! — und der Seele dcs
Einzelnen, aber innerhalb dieser Gren-
zen war er der österreichische Mensch
des österreichischen Feingehalts, der
österreichischen Kultur, der österreichi-
schen Leuchtkraft. Und sie strahlt auch
ihr schönes Licht über seinen „Lebens-
abend" hin.
Wenige Worte genügen über R. H.
Bartschs „Heidentum" und R.
Haas' „Michel Blank und seine Lie-
sel". Bartschs Roman dient einer Lehre
von der Lebensführung. Wit dem
Ernst, der vorerst dem Religiösen allcin
zukommt, tritt Bartsch ein für die Hin-
gabe an die objektive Matur, für das
innere Lauschen und Einswerden, für
die Wiedererweckung der ungeschäftigen
Freude. Daneben prcdigt (und schil-
dert!) er lebhaft die Lust des Sinnen-
genusses. Dies ist das echt österrei-
chische Heidentum, das er 'zeigt, —
Sinnenglück und Seelenfrieden, beides
echt, rein, nnverquält. Man kann sich
diese höchst zeitgemäße Tendenz wohl
gefallen lassen. Aber schmerzlich vcr-
mißt man einerseits die Vertiefung in
die Problematik der Sache, anderseits
die dichterische Gestaltung der Träger
dicser Anschaunngen, Bartsch bleibt
diesmal vberflächlich nnd schwächlich wie
kaum je. Haas bietet anscheinend dcn
Roman eines sonnigen, lauteren, her-
vorragend tüchtigen deutsch-österreichi-
schen Kraftmenschen, der in einer gnt
und lebendig geschilderten Kleinstadt
(wohl in Böhmen) allerlei Ehe- und
sonstige Schicksale erlebt und nach etli-
chen Konflikten zn gesicherter Stellung
kommt. Fn Wahrheit besteht der ge-
schickt komponierte Roman ans einer
Art anschaulicher Vergleichung meh-
rerer männlicher und weiblicher Lebens-
läufe und Lebensanschauungen, und der
Verfasser fügt es klüglich so, daß der
Biedersinn, die Treuc, die Heiterkeit,
die innere Echtheit und Geradheit, Ar-
beitsamkeit und Tüchtigkeit in jeder
Form belohnt crscheinen, während den
anderen mehr oder weniger Elend zu-
geteilt wird. Das ganze Buch bekommt
dadurch trotz der sehr feinen Einzel-
partien und der reichen, darin strö-
menden Gestalten- nnd Wirklichkeit-
Fülle, trotz der glntvoll-lebendigcn,
kräftig-eigenen Sprache des Verfassers
etwas Raives und Kindliches, das wir
heute nur mit Mühe ertragen. Hier
ist, etwas idealisiert zwar, aber doch
deutlich genug dasjenige Ssterreicher-
tum, das wir mit Herzlichster Teilnahme
in seiner natürlichen Frische und Lie-
benswürdigkeit beobachten, das aber
wegen seines Mangels an Weitblick
und an Kraft zum Schicksal im Lebens-
kampf den schwersten Gefahren aus-
gesetzt war und ist. S ch.
Altenberg, P., Mein Lebens-
abend (S. Fischer, B.); Vahr, H,, Die
Notte Korahs (S. Fischer, B.);
Bartsch, R. H., Heidentum (Staack-
mann, L.); Großmann, Die Partei
(Ullstein u. Eo., B.); Haas, R., Michel
Blank und seine Liesel (Staackmann,
L.); Kreutz, I. M,, Die große Phrase.
2 Bde. (M. Rascher, Zürich).
Häuser und Straßen und der Chinese
darin
<^ch ging mit einem Ehinesen durch
<)die Geschäftsstraßen ciner deutschen
Großstadt. Wir sprachen vom Fami-
lienleben, der Fremde rühmte die Ge-
schlossenheit der Familie in seiner Hei-
mat und darüber hinaus der Geineiude,
des Stammes, unter günstigen Bedin-
gungen auch ganzer großer Staatswesen.
Als ich ihm — etwas verlegen — er-
klärte, das alles habe es bei uns auch
gegeben und werde es wieder geben,
wies er mit einer Gebärde auf die
Häuserreihen dcr Straße, dann auf ein
einzelnes Gebäude und fragte: „Was
gehört zusammen?" Ich blieb .ihm
die Antwort schnldig, denn wirklich,
es gehörte nichts, rein gar nichts zu-
sammcn. Iedes Haus war wie ein Ver-
rückter mit Firmenschildern und häß-
lichcn Plakaten behängt und kümmerte
sich, was Baustil, Größe, Geschoßhöhe,
Baumaterial oder Anstrich betrifft,
scheinbar grundsätzlich nicht um den
Nachbarn. Wie ein Haufen durcheinan-
derschreiender Händler, so standen diese
Häuser Spalier und streckten ihre kärha-
tidengetragenen Erker und Valkone wie
rechte Protzenbäuche über die menschcn-
wimmelnden Bürgersteige. Am einen
Errde der Straße sah man ein fürchter-
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