Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 19 (Juliheft 1920)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0351

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AU Ende denken ist alles... Da wäre das erste, diesen Satz zu Ende
e)zu denken. Will man ihn zu Lnde denken, so darf man ihn nicht „zu
Ende" denken wollen. Denn alles Ende endet alles, also auch das Denken.
Alles, also auch alles Denken, endet in Gott. Gott ist, wie der Anfang,
so das Ende von allem. Etwas zu Ende denken wollen heißt also, es his
zu Gott hinaus denken wollen; Gott aber hat mit Denken nichts mehr zu
schaffen.

^eligion ist Selbsterkenntnis des menschlichen, als eben damit göttlichen
^Geistes. Religion ist Erkenntnis, daß alles Denken göttliches Denken
ist, wie alle Natur göttliche Natur, daß jede Handlung als eine Handlung
Gottes, jeder Gedanke ein Gedanke Gottes ist, daß Gott nur soweit Gott
ist, als er Welt ist, daß die Welt nichts anderes ist als Gott selbst, — daß
in demselben Augenblick, da ein Mensch sich seines Gott--seins bewußt wird,
Gott in ihm sich seiner selbst als Mensch bewußt wird.

H^as eine und einzige Gebot: Du darfst alles tun, was du willst, aber
^bedenke, daß du es dir selbst tust. Wenn du meinst, es dir selbst tun
zu dürfen, so tue selbst das Äußerste. Dies Gebot hindert kein Schaffen
oder Zerstören. Mit diesem Gebot bist du frei zu allem, und doch wird
es dich weise machen.

(>>ief unten schlachten sich noch die Völker, es raucht das Blut, und inSelbst--
^zerfleischung fällt noch Blindes sich selber an. Warum tue — Ich das?
Ich weiß es nicht. Die Menschheit ist noch eine Krsatur, der heilige Geist
hat das Tier erst zur Hälfte verwandelt.

^vrarum ist Mitleid nichts? Weil Mitleid dich ablenkt von dir auf den
^-^andern. Dich aber sollst du zu vollenden trachten, nicht den andern.
Wer sich nach innen wendet in seiner Tiefe, von dem fällt Mitleid ab wie
ein Müßiggang. Er kann niemand mehr bedauern um seines Leides willen,
er könnte ihn höchstens um dessentwillen bedauern, daß ihn sein Leid nicht
in sich hineintreibt, daß es ihn nicht vertieft. Wer sich und den Nächsten
als Gott erkannt hat, von dem fällt Mitleid ab wie Geschwätz. Er wird den
Nächsten zwar mehr als sich lieben und ihm sein Menschliches zum Opfer
bringen können, wenn es das gilt, aber ohne Mitleid; denn mit großem
Auge wird er durch fein Leiden hindurch in sich sehen; in dem aber, was
er da sieht, fallen, wie Ekkehart sagt, alle Worte dahin. Da hat Mit--
Leiden gar keinen Sinn und keinen Platz mehr.

308
 
Annotationen