Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 20 (Augustheft 1920)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Knut Hamsun: zu seinem 60. Geburtstage (4. August 1920)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0394

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
bot ein anerkannt „treffendes" Bild der in Cliquen und parasitärer Selbst--
überschätzung dahinlebenden Literaten-Dichter von Kristiania. In gehänften,
zart abgestimmten Worten werden sie gekennzeichnet, die scheinbar mil-
dern, ablenken, umschreiben, nnr eben andeuten und doch alles, ja alles
erkennen lassen, bis schließlich ein einsacher, tüchtiger, gedankenreicher Leh-
rersmann — die erste Handfeste Gestalt Hamsuns! — jener ganzen ver-
nichtenden Ironie das klare und entschiedene Urteil hinzufügt: ein jämmer-
liches Geschlecht. Neben ihm gedeihen zwei liebevoll gezeichnete Groß-
Kaufleute, die, in sozialpolitisch nicht eben gerechtfertigter Weise, Solidität
und Arbeit verkörpern. Wie breit nun auch Hamsnns Gesichtsfeld schon
scheinen mochte, noch lag manch unbetretenes Gebiet vor ihm. Neben dem
Literaten-Buch steht „Redakteur Lynge", eine ebenso meisterliche Dar-
stellung und Crledigung des emporgekommenen, charakterschwachen Zeitung-
schreibers, eine ebenso bittere Satire, diesmal auf einen glänzend an°
gelegten und halb ausgeführten politischen Hintergrnnd gestellt; dazu tritt
ein neuer Zug: dieser Lynge ist Bauernsohn, und hamsun scheint zeigen
zn wollen, wie Stadt nnd mechanisiertes Leben die ursprüngliche Kraft des
Landmenschen verzehren. Ein Stück Lebensanschauung sester Prägung wird
fühlbar, und auch eine unbestochen, sachlich und treu meinende Nebengestalt
verleiht dem Leser etwa das Gefühl, durch diese Wirrnis der Ironie und
das Helldunkel der Lrzählnng von einem Charakter geführt zu werden.
Mit „P a n" kehrt Hamsun dann zn den problematischen Naturen zurück;
aber dies ist sein erstes Buch aus dem Hochnorden mit seinen seltsamen
Spannungen; zum erstenmale zeigt sich Hamsun nun auch mit der ob-
jektiven Natur tief vertraut. Vertraut mit Fjord und Gebirge, Iagd und
Wald, berauschendem Klima und hellen Nächten. Doch sein Thema ist wie
in „Mysterien" das quälende Liebeserlebnis eines Sonderlings und eines
neurasthenischen Fräuleins. Kurz, gedrängt ist das Ganze, aber auch stark
manieriert — Hamsun überhamsunt sich selbst. Die prickelnde Mischung von
Erotik, Flucht in die Natur und geistreichster Darstellung hat dem Buch
übrigens einen gewaltigen Lvsolg eingebracht. Mit drei stofflich nicht
uninteressanten und psychologisch oft sehr fesselnden, letzten Endes aber
dünnen, wirkunglosen und gelegentlich geradezu langweiligen Dramen wendet
sich Hamsun nun zum letztenmal der Erörterung, ja: der Erörterung mehr
als der Gestaltung, politischer Dinge und Charakterfragen zu. Doch er ist
ein einseitiges Talent. Ganz gewiß kein Dramatiker. Selbst das un-
gefüge. wieder ein problematisches Leben spiegelnde Versdrama „Muncken
Vendt", offensichtlich eine Frucht stärkster Anspannung und innerer Hin-
gabe, ist schlechthin mißglückt. Von allen seinen Dramen besteht wohl nur
„Königin Tamara", ein in Georgien spielendes Werk, dessen dramatische
Wirkungen, gewonnen aus Konflikten zwischen Liebe und Stolz, Herrsch-
gier und Menschlichkeit, gefaßt in klare, scheinbar leicht ablaufende, doch
von innerer Spannung erfüllte, knappe Auftritte, sogar der Kammerbühne
zugute kommen könnten. So wenig wie Dramatiker ist Hamsun Novellist.
Vier Novellenbände, eigentlich mehr Studien- und Skizzenhefte, — so
fesselnd sie sind, wenn tzamsun etwa aus seinen amerikanischen Proletarier-
tagen Ausschnitte bietet, so packend er den Wahnsinn einer mechanistischen
Rnkultur geißelt, sie beweisen, daß er das breitere Maß, die Fülle und
Ruhe braucht, um ganz er selbst zu sein. Nur her Roman ist sein Element.

war sein letzter Roman erschienen: „Victoria", die Geschichte einer
Liebe, nein, nicht „Geschichte", das klingt zu sehr nach Schnurre und Er-
 
Annotationen