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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

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Heft 20 (Augustheft 1920)
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Bonus, Arthur: Konservativismus und Sozialismus: zwei konservative Stimmen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0415

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sondern auch die Art dieser Zwiespalte ist dieselbe, und erst ihre nähere
Färbung und Abzweckung unterscheidet die Völker. Wenn Spengler an
Apollo und Dionysos in der Antike erinnert und Konfuzius und Laotse
in China, Sozialismus und Anarchismus in der modern-abendländischen
Kultur nennt, so wird ein näherer Blick uns leicht davon überzeugen, dmz
alle diese Gegensätze Einzelformen des Grundgegensatzes jeder Kultur sind,
des Widerspruchs zwischen dem Trieb zur Gebundenheit und dem zur
Freiheit. Dies ist aber genau gesehen das Gesetz des Organismus selbst.
Um zu wirklich hohen Formen zu kommen, muß der Trieb zur Gebunden-
heit sehr stark sein. Die asketische Stimmung aller Iugend, der Trieb
zum Zwang in allen Sekten, das so ausgeprägte Gehorchenwollen im
Preußentum, das sind alles Besonderungen dieses gleichen Triebes. Bleibt
er zu schwach, so wird jede Form immer alsbald gesprengt und eine Ent-
wicklung ist in aller Welt nicht denkbar. Freiheit allein oder auch nur
zu große Freiheit läßt weder Form noch Entwicklung zu. Ebenso wenig
aber der reine oder ein zu starker Zwang. Die Form wäre allzu schnell
fertig und der Erfolg wäre auf dem entgegengesetzten Wege dennoch der-
selbe wie in allzu großer Freiheit. Das Leben bliebe auf niederste Formen
beschränkt. Ein anderer und vielleicht noch grundsätzlicherer Gegensatz
in allem Völkerleben ist der zwischen dem unerklärbaren Trieb alles
Lebendigen zur höheren Form und dem Trieb zur Verfestigung des Er-
reichten. Der faustische Drang der nachantiken abendländischen Kultur
ins Unendliche ist vielleicht nur das Bewußtwerden und dann freilich eine
besondere Bewußtseinsfärbung dieses Triebes zur höheren Form — oder,
um eine Fichtesche Formel zu gebrauchen: dieses Triebes zu immer
höheren Gesichten —, dem dann der anarchische Trieb gegenüberstehen
mag, der, wo er überwiegt, es nur zu Kleinformen bringt, statt zu einer
Gesamtorganisation der Welt.

Es scheint mir nun alles Leben auf Erden im Gegeneinanderwirken
solcher Grundgegensätze zu bestehen, alles Sterben durch den Heraus-
fall aus dieser fruchtbaren Spannung bedingt zu sein. Sobald der Drang
zur Gebundenheit allein wirkend wird, erstarrt die Form, der Baum
verliert seine Biegsamkeit und wird dürr, die Organisation wird Maschine,
die Kunst Manier, die Kultur Zivilisation, um schließlich unterzugehen.
«>rankheiten sind Heilkrisen. Ie mehr das Organische ins Mechanische
^»-hinüberschlägt, desto wütender wehrt sich der entgegengesetzte Trieb.
Daß dem Polizei- und linteroffiziersgeist des letzten Preußentums mit
seinem starren und kleinlichen Nadelstichgehaben über lang oder kurz eine
Revolte drohte, ist verständlich. Ich möchte wünschen, daß unser Kon-
servativismus sich hier nicht die Augen zuhielte: Die starke Gebundenheit
an sich ist es nicht, die zur gewaltsamen Sprengung der Form führt; erst
die Starrheit des Systems, die Mechanisierung, die Verleugnung der
Freiheit, der Versuch, das Leben durch Maschine zu ersetzen; vor allem
die Nnfreiwilligkeit des Zwanges. Das ist kein Paradox. Wir wiesen
bereits darauf hin, daß der Mensch Zwang wolle und sür nötig halte.
Er muß dann aber, je härter der Zwang wird, desto mehr das Gefühl
haben, daß er sich ihm als einer eingesehenen Notwendigkeit freiwillig
unterwirft. Ein sich frei fühlendes Volk verhängt in Notzeiten selbst
eine Diktatur über sich, ein sich unfrei fühlendes sprengt in derselben Not
seine Zwangsform. Es hat keinen Sinn, sich über die mangelnde Größe
unsrer Revolution zu entsetzen, wenn man doch feststellen will — was-

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