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Kunstwart und Kulturwart — 33,3.1920

DOI Heft:
Heft 21 (Septemberheft 1920)
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Avenarius, Ferdinand: Eine noch nicht erkannte Gefahr
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https://doi.org/10.11588/diglit.14991#0451

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nüchtern im Wartezimmer, wie ledern in der Schreib- oder Redestnbe
aussehen mag, es war doch und es ist noch so: daß dort wenigstens
der Geist der Sachlichkeit und des Nicht-Geschäftemachens auch
von den Wänden sprach und spricht. Andert man das und verpachtet man
auch diese Räume und, was als Schreib-- oder Drucksache in ihnen ge-
macht wird? Freilich, das könnte was einbringen, wenn man alle Ämts-
korridore, Stuben und Säle gegen Geld bnntkleben und alle Erlasse mit
Reklame umschreien ließe! Nicht nur bei Post und Eisenbahn, warum
denn wo anders nicht? Die wartenden Zeugen langweilen sich ohnehin
— hängt doch auch die Gerichtskorridore voll! Versteht sich: wo man was
auf sogenannte Vornehmheit gibt, mit „künstlerischen" Plakaten! Vielleicht
auch in den Kirchen? Etwa mit „frommem" Linschlag, wir haben
ja Nnternehmer auch dasür? Ich weiß nicht, wo sich eine sichere Grenze
findet, wenn man die Würde doch einmal wegwirft. „Nnd wenn dich erst
ein Dutzend hat, so hat dich auch die ganze Stadt."

Reklame ist nicht dasselbe wie Ankündigung. Die Ankündigung sagt:
dies und das steht am Markt, wählt aus. Die Kritik sagt: dieses und
das davon ist aus den und jenen Gründen vorzuziehen. Die Neklame jedoch
ruft: kauf, was ich empfehle. Kauft es, gleichviel ob ihr's braucht und gleich-
viel, ob es gut ist, kauft, weil ich bezahlen kann, daß ich ench aufrede, ihr
brauchtet es und es sei das Beste. Kauft, weil das Kapital das Geld-
geschäft macht, euch zu suggerieren*

Nämlich: der dritte „Gesichtspunkt" bei der Beurteilung dieses Themas
ist weitaus der wichtigste. Alle Reklamefeldzüge sind Suggerier-
Wettbewerbe ums Geschäft. Reklame ist dieKunst, sichvorzu-
drängen. Meyers Sachen sind die meistgekauften, nicht, weil sie die
besten wären, sondern weil Meyer sie am wirksamsten ausschreien kann,
und Müllers Schwindel gilt für unentbehrlich, weil seine Reklame alle
Zweifel an dieser Behauptung umtroinpetet. Nicht die Güte der Sachen
und nicht das wichtigere Bedürfnis des Käusers entscheidet da, sondern die
Massensuggestion: dieses da kaust „man" und: dieses da braucht „man".
Herrschaft der Reklame würde bedeuten: Herrschaft der Nnsachlichkeit.
Die schlechtweg ungeheuerlichen wirtschaftlichen Folgen dieser Tatsache würden
auch von keiner „künstlerischen Gestaltung" in irgendwas Wesentlichem ge°
ändert. Herrschaft der Reklame wäre ein Fluch. Fast unerträglich der Ge-
danke, der Staat sollte mithelfen, unsere Zustände dem anzunähern. Seine
Räume sollen gleich denen der Wissenschaft, der Kunst und der Kirche kapi-
talistischer Geldmacherei verschlossene Inseln der Sachlichkeit bleiben. Bis-
her verstand sich das wenigstens von selber, daimm sprachen wir alle nicht
erst davon — bis zum Fall Hobbing dachten wir nicht san die Mög-
lichkeit, das könne mal kommen. Bedenkt den ersten Schritt —
es ist nicht abzusehn, was am Ende dieses Weges da wartet! A

* Wie ich das schreibe, bekomme ich das Plakat der „Frankfurter Inter-
nationalen Wesse" von Fuß. Es hängt jetzt sicher an zchutausend Wänden,
man prüfe es auf das Gesagte hin. Als Plakat, geschäftlich genommen,
ist's mustergültig: es schreit Häusergruppen um. „Künstlerisch" finde ich's
fürchterlich. Ieder Raum, in dem es hängt, wird vou ihm einen Brüllen
Geschäftsgemeinheit bekommen, der ihm allcs etwa noch Vornehme vcrderbt.

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