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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Münzer, Kurt: Die Kurkapelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0122

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96 LLELLLLLLLLLELL Kurt Münzer:

Alle anderen Musikanten sind nur die
Folie dieser beiden Helden; sie sind junges
unreifes Volk, selbst den fünfzehnjährigen
Schönen zu grün, öder, wie der Pauken-
schläger und Baßtrompeter, ein altes trockenes
Etwas, ohne Beziehung mehr zum Manne,
zudem verheiratet, wie schmale Ringlein
verraten. Aber das, wohin die Blicke aller
neu eintreffenden Damen zuerst zielen, wenn
sie den Pavillon passieren, sind die weißen,
schönen, schmalen Hände des Konzert- und
des Kapellmeisters. Gott sei Dank, es geht ein
tiefes Aufatmen durch den erwartungsvollen
Busen, Herzen heben sich hoffnungsvoll, und
Lippen öffnen sich beglückt: die weißen
Künstlerhände sind schmucklos. Keine hassens-
werte Rivalin kam den Mädchen zuvor, die
da unten sitzen, stehen, schmachten. Zwei
Künstler sind zu vergeben.
Nun, der Konzertmeister — es stellt sich
schnell heraus — ist so eine Art Frauenfeind
oder doch von allem guten Geschmack ver-
lassen oder von einer grenzenlosen Einbil-
dung besessen. Er versteht Blicke nicht und
nicht die ehrbar zurückhaltende Aufforderung,
mit der eine kinderlose und unverstan-
dene Dame aus der Kreishauptstadt am
Ende des Konzerts sich in die Rosenbüsche
schlägt. Er folgt ihr nicht. Er lächelt nicht,
als drei süße Backfische merkwürdig oft seinen
Heimweg kreuzen und aufregend kichern,
wenn er ihnen nahe ist; ja, er hebt sogar der
schönen, braunen SekretärstochterdenSonnen-
schirm nicht auf, der ihr entgleitet, aus hol-
dem Schreck, als er unversehens an ihrer
einsamen Bank vorüberkommt. Ach, er selber
sucht die Einsamkeit. Ist denn eine Frau
da, die seiner Liebe, seines Vertrauens würdig
wäre, welche vermöchte, ihm zu folgen auf
seinem Dornenweg der Verkanntheit, der
Intrigen und Rachsucht? Wie seine größten
Brüder kann auch er Apoll und Venus nicht
zusammenkoppeln. Sein Leben gehört der
Musik, nicht der Frau; er ist aller Leiden-
schaften, aber keiner Liebelei fähig. Einmal,
einmal war er ein Wunderkind. Er hat in
Paris gespielt, in einem schwarzseidenen
Wämslein mit Gipürespitzen, sieben Jahre
alt — vor der Welt —, in Wahrheit schon
neun. Im schönen Saal der Rue de la
Boetie hat er gestanden, holde schlanke Frauen
haben ihn geküßt, eine schöne Matrone hat
ihm ein goldenes Kettlein umgehängt, das
ihm sein Vater dann fortnahm. Er bekam
Blumen und Spielsachen aufs Podium ge-
reicht. Aber spielte er auch nicht schöner als
je einer zuvor? Jene Es Dur - Cantilene
Beethovens, schmolz da nicht sein Kinderherz,
wenn er sie bebend herunterstrich, und mußte
er nicht jedesmal, so oft er sie auch spielte,
weinen, weinen, daß die Tränen auf die Gi-
püre fielen und die unbegreiflichen Leute
unten zu schreien begannen? Auch in Wien
hatte man ihn so verwöhnt, in Petersburg,
weniger in Berlin; aber in London durfte
er vor der Königin spielen, nachmittags, als
sie mit ihren Damen und einigen Herren

Tee trank. Sie hatte ihm selbst eine Brillant-
nadel in den Kragen gesteckt.
Ja, und dann? Und heute? Auf einmal
war's vorbei. Sein Vater verschwand, und er
war allein, älter geworden, ungelenk, ohne
mehr gelernt zu haben als seine sechs, sieben
Paradestücke. Und so setzte die Not ein. Das
war nun dreißig Jahre her. Seit dreißig
Jahren spielte er, von Agenten umhergeschleu-
dert, hier und da in kleinen Kapellen, in Stadt-
theatern, Hoftheaterchen, im Sommer in
Kurorten. Wenn er Glück hatte, bekam er
zweihundert Mark Gehalt und fand daneben
ein paar Musikschüler. Sonst besaß er ein
Dutzend Schleifen mit ekstatischen Widmungen,
ein Paket Rezensionen aus alter Zeit und
die Nadel der Königin. Nur daß sie längst
verkauft und durch eine imitierte ersetzt war.
Aber diese Schätze führte er immer mit sich.
Auch hier im Vadeörtchen hatte er sie seinem
Holzkoffer entnommen, und nun hingen die
zerschlissenen Seidenbänder an den Wänden
seines Stübchens. Er wohnte in der Villa
Cäcilie — er suchte immer Häuser mit musi-
kalischen Beziehungen — im Parterre und
ließ das Fenster gern offen. Denn die passie-
renden Damen standen da still und sahen
erschauernden Herzens in dieses Künstler-
heim. Die Schleifen wehten, verblichene
Farben und Gold schimmerten. Und der
Geiger saß irtt Hintergrund versteckt und trank
gierig diese letzte Bewunderung von fern.
Und am Abend, oft, nahm er in dem dunklen
.Zimmer seine Geige und spielte jene Beet-
hovensche Es Dur-Cantilene. Auch heute
noch schluchzte er — aber nicht mehr aus
Ergriffenheit, sondern aus Kummer und Wut.
Und in alledem war es ein wohltuender Trost,
daß die Frauen und Mädchen jetzt draußen
auf der Straße standen und lauschten. Und
es war ein bitterer Genuß, daß keine ahnte,
wie er hier saß und weinte, weil die Kunst
in ihm lebte und dennoch nicht aus ihm sprang
oder erkannt und geschätzt wurde.
Das also ist der Konzertmeister, und er
kommt, außer seinem Spiel, für das Bade-
publikum nicht in Betracht, da er höher flie-
gende Absichten zu haben scheint. — Aber der
Kapellmeister!
Schon allein zu sehen, wie er daherkommt.
Immer der letzte, schreitet er, den Hut in
der Hand, die kurzen, schwarzen Locken un-
bedeckt, in Gehrock und tadelloser Krawatte,
durch die Allee. Er betritt den Pavillon,
grüßt leutselig nach rechts und links, steigt
auf die kleine Estrade zu seinem Pult, und
wenn der letzte Schlag der bestimmten Stunde
vom Kurhaus erschallt, hebt er den Stock,
wirft einen einzig kühnen, wundervoll flam-
menden Blick versammelnd um sich, und die
Geigen setzen schmelzend ein. Dann wird
er müde, nachlässig. Nur etwa Wagner oder
Puccini scheinen ihn lebhafter zu bewegen.
Und wenn er gar den Walzer aus dem
„Rosenkavalier" bringt, dann dirigiert er
nicht anders wie Richard Strauß selbst. Er
fällt aus allen eleganten Nikischposen, seine
 
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