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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Lenz, Max: Napoleon und das Schicksal
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0166

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128 ILLLEEEEf Franz Karl Ginzkey:
die neuen Heereskräfte, die er forderte, stellen:
der Geist, der sie einst um die Trikolore ge-
schart, vor dem die Heere des alten Europas
in den Staub gesunken, war erloschen, erstickt
durch das despotische Regiment, das, lange
bevor Bonaparte es in seine Faust genom-
men, aus ihrem Schoße sich erhoben hatte.
Napoleon durfte ihn gar nicht wieder er-
wecken: er hätte nur die alten Parteien ins
Leben zurückgerufen, den Bürgerkrieg entfacht
und also die Proklamationen, mit denen die
Fremden in das Land kamen, gerechtfertigt.
Die Bändigung der Parteien, die Einheit
der nationalen Kraft war die Basis seiner
Macht und das Prinzip seiner Herrschaft
gewesen; er wollte es auch im Untergange
nicht verleugnen. Einst hatte das Feuer der
nationalen Leidenschaft, dies Gemisch von
Haß und Liebe, auch in seinen Adern ge-
glüht: solange sein Herz für Korsikas Frei-
heit geschlagen hatte. Aber seitdem er mit
den Seinen, einem Felsstück der korsischen
Küste vergleichbar, von dem Boden der Hei-
mat losgerissen und an Frankreichs Ufer
geschleudert war, hatte er diese Gefühle in sich
ausgelöscht und die Verachtung der natio-
nalen und aller liberalen Ideen dafür ein-
getauscht. Sie hatten ihm seitdem wohl als
Elemente seiner Politik gedient: aber nie-
mals hatte er diese nach ihnen gerichtet.
Macht und abermals Macht war das Wort
geworden, an das er glaubte, und das Ziel,
nach dem er strebte: „Chimären, jawohl,
Chimären," rief er aus, als ihn auf dem
Schlachtfelde von Arcis sur Aube General
Sebastiani, der Landsmann und Waffen-
gefährte von den Pyramiden und dem
19. Brumaire, aufforderte, die Nation zum
Kampfe aufzurufen: „eine Erhebung der
Nation fordern wollen in einem Lande, in
dem die Revolution die Edelleute und die
Priester vernichtet hat und ich selbst die
Revolution vernichtet habe!" .. . Vielmehr
mußte er es alsbald erleben, daß der Abfall
im Heere und im Volke um sich griff. Zu
den Ideologen gesellten sich die Verräter:
ihnen beiden erlag der Tyrann. So wollte
es die Rache des Schicksals.
Werfen wir zum Schluß noch eine Frage
auf. Was wäre geschehen, wenn den Ge-
waltigen der Allbezwinger nicht sobald von
der Welt, die einst zu klein für seinen Ruhm
gewesen war, hinweggenommen hätte? Er
hatte noch nicht das zweiundfünfzigste Le-

Stürmischer Abend
bensjahr vollendet, als es geschah. Neun-
zehn Jahre später warf, von dem Herrscher
Frankreichs selbst gesandt, das Schiff auf der
Reede von St. Helena Anker, das die Asche
des Helden nach Frankreich zurückbringen
sollte, damit sie inmitten seiner Trophäen
ruhe. Es war eine Huldigung, die bereits
die Angst der damaligen französischen Re-
gierung, der zweiten Dynastie nach dem
Sturze des Kaisers, verriet vor dem gigan-
tischen Schatten, der für Frankreich der In-
begriff nationaler Größe und nationalen
Ruhmes geworden war. Längst war der
Bund der vier Mächte, dem der Kaiser er-
legen war, zerfallen; England zuerst hatte
sich, schon ein Jahr nach seinem Tode, von
den Alliierten losgemacht. Ganz undenkbar
wäre es gewesen, zumal seit der Julirevo-
lution, seitdem England in allen Erdteilen
die Fahne der Freiheit emporhielt, daß Na-
poleon die Freiheit verweigert wäre.
Das Schicksal hat es nicht gewollt. Die
ungeheure Tragik, die über diesem Lebenslauf
liegt, sollte sich ganz vollenden. Wie dem Ti-
tanen der griechischen Sage die Geier, die Bo-
ten des rächenden Zeus, die Leber zerfleischten,
so mußte dieser moderne Titane unter den
mörderischen Griffen einer unheilbaren Krank-
heit dahinsiechen. Jedoch sein Geist blieb so
unbesieglich, wie der des hellenischen Halb-
gottes, der noch in den Fesseln und unter
Martern den Göttern Trotz bot. Wie er es
gegen seinen Kerkermeister Sir Hudson zum
Ausdruck brachte: „Ihr habt," so sprach er
zu ihm kurz vor seinem Tode, „volle Gewalt
über meinen Körper, aber meine Seele wird
Euch immer entgehen. Wisset, daß sie noch
so stolz, so mutig auf diesem Felsen ist wie
damals, als ich Europa Befehle gab."
Der Historiker soll über den Parteien
stehen. Aber das heißt nicht, daß er sich
freihalte von dem inneren Anteil an dem
Schicksal, das den Menschen erhebt und zer-
malmt. Die Weltgeschichte bietet auf jeder
ihrer Seiten Tragödien dar, wie sie keines
Dichters Phantasie ersinnen kann. Keine
aber ergreift des Hörers Herz tiefer, keine
zeigt unauflöslick>er die Verflechtung von
Schuld und Schicksal, und keine offenbart
den Wechsel menschlicher Geschicke in erhabe-
neren und furchtbareren Bildern als die Ge-
schichte dieses Mannes, der aus der Tiefe
zur Sonnenhöhe emporstieg, um in trostloser
Verlassenheit zu sterben.

Stürmischer Abend
Schreit' ich bei des Sturmwinds Geigen abends heim im Flammenschein,
Heb' ich lachend oft mein eigen Schicksal in die Welt hinein.
Aufgetürmt zur Abendfeier jagen Wolken nah und fern,
Sieghaft durch zerriss'ne Schleier blitzt auch schon der erste Stern.
Hei, wie da, vom Sturm umwettert, Bürd' auf Bürde mir entfällt.
Nun sich mein Geschick entblättert, wird zum Schicksal mir die Welt.
Franz Karl Ginzkey
 
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