146 Hermann Kurz: Die Amme
wie er sie, wäre sie zu Haus geblieben
bei ihm. Basta. Daß seine Frau viele
Nächte hindurch weinte und nach Hause
dachte, davon wußte der Noldi nichts.
Und als ein gutes Weinjahr ins Land
zog und ein Jubel war und fröhliches
Trinken ringsum und auf und ab, da
machte der Noldi seinen dummen Streich.
Er geriet auf Abwege, und postwendend
bekam das Mareili von einer guten Freun-
din davon Bescheid.
Da wurde das Mareili schier krank vor
Herzensweh, und es schlich kleinlaut umher,
und sein Stölzlein hinkte nur noch so zer-
schlagen hinterdrein und galt gar nichts
mehr bei dem Mareili; es tat seine Pflicht,
begann aber nebenher auszurechnen, wie-
viel Tage die drei Monate hätten bis sein
Jahr herum war. Und je länger das Ma-
reili rechnete, um so länger wurde die Zeit,
und nach wenigen Tagen waren diese drei
Monate überhaupt nicht mehr zu erleben.
Dabei zehrte aber die Untreue ihres Noldi
arg, und da dies für eine kronprinzliche
Amme nicht das Veste ist, fiel das bleiche
Aussehen dem Großherzog und seiner
Frau auf wie allen andern.
Darum fragte der stolze Vater des
Kronprinzen dessen Amme nach ihrem
Kummer. Und da der Herr wie ein anderer
Mensch von Fleisch und Blut reden konnte,
leerte die Amme ihr Kröpflein und sagte
weinend, wo sie gedrückt war.
Es war dies allerdings auch den groß-
herzoglichen Kronprinzeltern keine an-
genehme Post, jedoch schaute der Groß-
herzog seine Gemahlin an und sagte: „Es
ist allerdings für den Noldi hart, und man
kann's ihm nicht so sehr verargen."
Dann aber gab er dem Mareili noch im
besonderen einige gute Worte, und am
selbigen Tage kündete er der Amme in
einigen Tagen das Ende ihres Dienstes an.
Da gab's zuerst einen Jubel bei Ma-
reili und gleich darauf ein kleines Katzen-
jämmerlein. Denn nun, wie sie nach Hause
durfte, fühlte sie sich zum ersten Male doch
ein wenig gekratzt an ihrem Hochmute.
So verflossen die Tage, und das Ma-
reili war ziemlich kleinlaut und wurde
nicht klug, was werden sollte zu Hause.
Da mahnte die Großherzogin, als sie
dem Mareili Lebewohl sagte: „Wenn du
zu Hause bist, Mareili, leb' wie früher, ehe
du herkamst, und sage kein Wort." Und
dies schien dem Mareili die Formel zu
sein, das Glück zu fangen und das Böse
zu bannen.
So fuhr sie voller Zuversicht in der
gleichen Chaise, die sie geholt hatte, nach
Hause zurück. Sie lehnte in den Kissen und
schloß die Augen und träumte wie damals,
als sie noch ein Mädchen war. Heute ver-
stand das Mareili allerdings das Kutschen-
fahren besser wie dazumal, und es begann
auch noch in manchem anderen ein bißchen
mehr zu verstehen.
Als das Mareili wieder zu Hause an-
kam, saß der Noldi auf der Ofenbank und
schaukelte mit dem Fuße seinen Erst-
geborenen. Im Nebenamte zerlegte er
wieder einmal seine alte Rechnung, und da
er an seinen kleinen Fehltritt dachte, juckte
es ihm unter dem Brustlatz, und mutiger
denn je begann er einen Gedanken nach
dem anderen umzubringen. So kam es,
daß er nicht weiter achtgab, als seine
Frau vorfuhr. Und erst, als sie in der
Stube stand, ihm gegenüber, gingen ihm
die Augen auf. Er starrte auf das Ma-
reili wie auf einen Spuk, und langsam
öffnete sich sein Mund, und die Pfeife ent-
glitt und fiel zerbrechend zu Boden. Als
sich auf dieses Geräusch der Spuk nicht
verzog, fragte er: „Ja, bist du's denn,
Mareili?"
„Ja, ich bin's schon, Noldi!"
Und da, wie der Mann vor ihr stand,
kam doch wieder ein klein wenig jenes
Kratzteufelein der verletzten Eitelkeit, und
schon begann es an der Zunge zu jucken
und wollte dem Noldi die Worte an den
Kopf werfen: ,Gib's ihm jetzt recht, dem da!'
Es schien, der Noldi lese aus dem Feuer,
das in ihren Augen aufblitzte, was die
Frau denke. Er schaute sie darum trotzig
an und wollte schon sagen: ,Jawohl, so
ist's, und das kann dir ja auch gleich sein,
da du so lange weg sein konntest/
Aber diese Worte wollten doch nicht so
glatt heraus, wie er sich dachte, und blieben
ungesprochen irgendwo in seinem Munde
hängen.
So lag etwas zwischen den beiden,
zum mindesten so gefährlich für sie wie
eine Höllenmaschine. Und jeden Augenblick
schien dieses Ding explodieren zu wollen,
dazu kam noch so langsam die Verlegen-
wie er sie, wäre sie zu Haus geblieben
bei ihm. Basta. Daß seine Frau viele
Nächte hindurch weinte und nach Hause
dachte, davon wußte der Noldi nichts.
Und als ein gutes Weinjahr ins Land
zog und ein Jubel war und fröhliches
Trinken ringsum und auf und ab, da
machte der Noldi seinen dummen Streich.
Er geriet auf Abwege, und postwendend
bekam das Mareili von einer guten Freun-
din davon Bescheid.
Da wurde das Mareili schier krank vor
Herzensweh, und es schlich kleinlaut umher,
und sein Stölzlein hinkte nur noch so zer-
schlagen hinterdrein und galt gar nichts
mehr bei dem Mareili; es tat seine Pflicht,
begann aber nebenher auszurechnen, wie-
viel Tage die drei Monate hätten bis sein
Jahr herum war. Und je länger das Ma-
reili rechnete, um so länger wurde die Zeit,
und nach wenigen Tagen waren diese drei
Monate überhaupt nicht mehr zu erleben.
Dabei zehrte aber die Untreue ihres Noldi
arg, und da dies für eine kronprinzliche
Amme nicht das Veste ist, fiel das bleiche
Aussehen dem Großherzog und seiner
Frau auf wie allen andern.
Darum fragte der stolze Vater des
Kronprinzen dessen Amme nach ihrem
Kummer. Und da der Herr wie ein anderer
Mensch von Fleisch und Blut reden konnte,
leerte die Amme ihr Kröpflein und sagte
weinend, wo sie gedrückt war.
Es war dies allerdings auch den groß-
herzoglichen Kronprinzeltern keine an-
genehme Post, jedoch schaute der Groß-
herzog seine Gemahlin an und sagte: „Es
ist allerdings für den Noldi hart, und man
kann's ihm nicht so sehr verargen."
Dann aber gab er dem Mareili noch im
besonderen einige gute Worte, und am
selbigen Tage kündete er der Amme in
einigen Tagen das Ende ihres Dienstes an.
Da gab's zuerst einen Jubel bei Ma-
reili und gleich darauf ein kleines Katzen-
jämmerlein. Denn nun, wie sie nach Hause
durfte, fühlte sie sich zum ersten Male doch
ein wenig gekratzt an ihrem Hochmute.
So verflossen die Tage, und das Ma-
reili war ziemlich kleinlaut und wurde
nicht klug, was werden sollte zu Hause.
Da mahnte die Großherzogin, als sie
dem Mareili Lebewohl sagte: „Wenn du
zu Hause bist, Mareili, leb' wie früher, ehe
du herkamst, und sage kein Wort." Und
dies schien dem Mareili die Formel zu
sein, das Glück zu fangen und das Böse
zu bannen.
So fuhr sie voller Zuversicht in der
gleichen Chaise, die sie geholt hatte, nach
Hause zurück. Sie lehnte in den Kissen und
schloß die Augen und träumte wie damals,
als sie noch ein Mädchen war. Heute ver-
stand das Mareili allerdings das Kutschen-
fahren besser wie dazumal, und es begann
auch noch in manchem anderen ein bißchen
mehr zu verstehen.
Als das Mareili wieder zu Hause an-
kam, saß der Noldi auf der Ofenbank und
schaukelte mit dem Fuße seinen Erst-
geborenen. Im Nebenamte zerlegte er
wieder einmal seine alte Rechnung, und da
er an seinen kleinen Fehltritt dachte, juckte
es ihm unter dem Brustlatz, und mutiger
denn je begann er einen Gedanken nach
dem anderen umzubringen. So kam es,
daß er nicht weiter achtgab, als seine
Frau vorfuhr. Und erst, als sie in der
Stube stand, ihm gegenüber, gingen ihm
die Augen auf. Er starrte auf das Ma-
reili wie auf einen Spuk, und langsam
öffnete sich sein Mund, und die Pfeife ent-
glitt und fiel zerbrechend zu Boden. Als
sich auf dieses Geräusch der Spuk nicht
verzog, fragte er: „Ja, bist du's denn,
Mareili?"
„Ja, ich bin's schon, Noldi!"
Und da, wie der Mann vor ihr stand,
kam doch wieder ein klein wenig jenes
Kratzteufelein der verletzten Eitelkeit, und
schon begann es an der Zunge zu jucken
und wollte dem Noldi die Worte an den
Kopf werfen: ,Gib's ihm jetzt recht, dem da!'
Es schien, der Noldi lese aus dem Feuer,
das in ihren Augen aufblitzte, was die
Frau denke. Er schaute sie darum trotzig
an und wollte schon sagen: ,Jawohl, so
ist's, und das kann dir ja auch gleich sein,
da du so lange weg sein konntest/
Aber diese Worte wollten doch nicht so
glatt heraus, wie er sich dachte, und blieben
ungesprochen irgendwo in seinem Munde
hängen.
So lag etwas zwischen den beiden,
zum mindesten so gefährlich für sie wie
eine Höllenmaschine. Und jeden Augenblick
schien dieses Ding explodieren zu wollen,
dazu kam noch so langsam die Verlegen-