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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
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Hamecher, Peter: Die Suche nach dem Modell
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0253

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SIELLEEELLLLLLLN Die Suche nach dem Modell lüLÄLÄLLLLLKl!! 197

rechnet mit ihnen ab, nicht wie wie mit
Menschen, sondern mit Mächten. Dieser
Zachris ist nicht mehr Geijerstam. Das sind
nicht mehr Menschen, mit denen er sich
herumbalgt; das sind Dämonen: Helfer und
Gesandte des Dunkels, der finstern Mächte,
die ihn umstricken wollen, und gegen die er
aus der Not seines aus dunkeln und lichten,
aus erdigen und ätherischen Stoffen unglück-
lich gemischten Wesens verzweifelt sich wehrte
ein ganzes Leben lang. Was aber die objek-
tive Stellungnahme der Zeitgenossen zu dem
Satiriker so schwierig macht, ist, daß er so
stark ins Tagesinteresse eingreift und seine
Gestalt eigentlich erst deutbar wird, wenn er
aus dem Bann der herrschenden Leiden-
schaften und Personen durch die Zeit heraus-
gerückt wurde.
Die in sich verständliche, wenn auch aus
einem Mißverstehen der dichterischen Absicht
und der Kunst überhaupt hervorgehende
Empörung gegen ein Werk, das sich nach der
Auffassung der bürgerlichen Welt an der mit
Recht geforderten Unantastbarkeit des Privat-
lebens vergreift, ist sehr zu trennen von der
sensationslüsternen Sucht der Modellsuche, die
um jeden Preis erkennen will, wer hinter
den Gestalten eines Dichters steckt. Gerade
dadurch, daß der Dichter notwendig Züge
des alltäglichen Lebens aufnimmt, diesen
Verhältnissen aber mehr einen allgemeinen
Charakter zu verleihen strebt, ist es verhält-
nismäßig leicht, Ähnlichkeiten mit diesem und
jenem zu entdecken, ohne daß sie wirklich be-
absichtigt wären. Vielleicht hat der Dich-
ter nur Erinnerungsbilder gebraucht; aber
irgendwo findet sich eine parallele Erschei-
nung, die nun eiligst hervorgezerrt und be-
klopftwird, um der hämischen Neugier genug-
zutun; und plötzlich sieht der Dichter sich
zu Dingen in Beziehung gebracht, die ihm
vollkommen fremd sind. Otto Ludwig schreibt
hierüber am 9. September 1858 an seinen
Freund Ambrunn in Eisfeld, dem er gleich-
zeitig die „Heitheretei" schickt: „Nun ist es
Menschenart, daß man, wenn man ein-
mal solche Züge findet, die man kennt, noch
mehr zu finden glaubt und mancherlei fin-
det, weil man es sucht, nicht weil es wirk-
lich vorhanden wäre. Das kann so weit
gehen, daß man in erdichteten Figuren ge-
wisse bekannte Menschen zu finden meint,
weil ja doch am Ende jede poetische Figur
mit wirklichen Menschen Ähnlichkeit haben
muß. Daß das, was das Büchlein Anziehen-
des haben mag, nicht auf solchen Beziehun-
gen beruht, ist daraus zu erkennen, daß es
am meisten Anklang in Österreich gefunden
hat . . . wo es natürlich keinem Menschen
einfallen kann, dabei an Eisfeld zu denken;
sie denken eben an Figuren ihrer eignen Be-
kanntschaft dabei, und es ist kein Beweis
gegen die Stärke eines Schriftstellers, wenn
jeder meint, die poetische Gestalt sei das
Spiegelbild eines Menschen, den er kennt."
Nicht jede Benutzung künstlerischer For-
menführt zur Kunst. Besonders die Form des

Romans mit ihrer wenig streng geschlossenen
Breite erscheint so bequem als Abladestelle
für alle nicht künstlerischen Absichten, die
gerne in einem anziehenderen Gewände auf-
träten. Wir sehen hier etwas entstehen, das
mit dem Modellroman, wie wir ihn von
guten Dichtern kennen, verwandt zu sein
scheint: den Schlüsselroman. Aber man
braucht nur aufzumerken, um den Unter-
schied zu sehen. Der wirkliche Dichter kann
keinen Zug aus der Wirklichkeit nehmen,
ohne ihn zu der erregenden Idee in Be-
ziehung zu setzen und ihn so seiner realen
Zugehörigkeit zu entrücken. Die Suche nach
dem Urbild ist hier nur vom Übel, weil die
reinen Verhältnisse des Werkes dadurch ge-
trübt werden, und Anknüpfung an das
Modell sich nur auf Äußerlichkeiten beziehen
kann. Der Schlüsselroman aber ist nichts
anderes als eine mechanische Nachzeichnung
der Wirklichkeit; gewiß verändert der Ver-
fasser meist Namen und Umstände: aber die
Retusche bewirkt nur eine größere Span-
nung auf die Auflösung der Charade. Als
ein Erempel möchte ich hier die Romane von
Arthur Landsberger nennen. Das Grund-
wesen dieses Gebildes ist in der Tat die In-
diskretion, und es steht niedriger fast als das
gehässigste, persönliche Pamphlet. Dieser
Schlüsselroman ist von der Kunst himmel-
weit entfernt und verdient keine bessere Be-
handlung als jede andere persönliche Ehren-
kränkung.
Die Modellfrage ist eine Frage der durch
das Forschen nach dem Urbild beträchtlich
gefährdeten künstlerischen Bewegungsfreiheit.
Hat der Künstler es verstanden, aus einem
Material Kunst zu machen, d. h. es in einer
allgemein wertvollen Art und Weise zum
dauernden Symbol umzuschaffen, so kann es
ganz gleichgültig bleiben, woher er einzelne
Bausteine, einzelne Ornamente und Träger
genommen; denn mag er wirkliche Porträts
in sein Gespinst eingewebt haben: es sind
doch nur von außen genommene Möglich-
keiten; Notwendigkeit wurden sie erst in dem
Augenblick, wo der Dichter sie mit seiner
eignen Seele füllte, um sie in etwas ganz Neues,
dem Urbild vielleicht Ähnliches, aber gewiß
nicht Kongruentes zu verwandeln. Ludwig
hat recht: was in Eisfeld gilt, gilt nicht in
Österreich oder Rußland. Bewährt das
Werk dort seine dichterische Eindruckskraft,
wo man um die Modelle nicht weiß, erhält
es sich gleich Dem „Werther" und tausend an-
dern „Modelldichtungen" jung durch Zeiten,
für die es kein Aktualitätsinteresse mehr,
sondern nur noch ein reines Kunstinteresse
hat, so war der Künstler in seinem Recht
und vollauf befugt zu handeln, wie er's
getan. Der indiskrete Schlüsselroman ver-
dient keinerlei Entschuldigung. So aber
einer ein Künstler ist, soll man ihm mit
Jean Paul zurufen: „Freunde, habt nur
vorzüglich wahres, herrliches Genie, dann
werdet ihr euch wundern, wie weit ihr's
treibt."
 
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