220 Julius R. Haarhaus: Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig VLLKKBlÜ
Bruderzwist, der siegreiche Krieg gegen den
alten Erbfeind jenseits der Vogesen, die
Gründung des neuen Deutschen Reiches
lenkten das Denken und Fühlen des Volkes
in neue Bahnen, und der ungeahnte Auf-
schwung des gesamten Erwerbslebens wäh-
rend der siebziger und achtziger Jahre zei-
tigte einen Materialismus, der derBegeiste-
rung und dem Heldentum der Ahnen gleich-
gültiggegenüberstand. Ein bei Gelegenheit
des fünfundsiebzigsten Jahrestages der
Völkerschlacht erlassener Aufruf hatte das
klägliche Ergebnis, daß aus ganz Deutsch-
land nur 19 000 Mark zu einem Denkmale
zusammenkamen. Es sah wirklich so aus,
als ob die Ehrenschuld der Nation gegen
die Helden von 1813 ungetilgt bleiben
sollte.
Da trat zu Anfang der neunziger Jahre
in Leipzig ein Bürger auf, der die Begeiste-
rung für den Gedanken eines würdigen
Riesenmonumentes, der ihn selbst beseelte,
andern mitzuteilen und der, aller Teil-
nahmlosigkeit, allen Anfeindungen, allem
Hohn und Spott zum Trotz, mit der zähen
Ausdauer des echten Idealisten für seine
kühne Idee zu werben verstand. Es war
der Baumeister und Architekt Clemens
Thieme, der am 26. April 1894 mit einer
kleinen Anzahl Gesinnungsgenossen den
„Deutschen Patriotenbund zur Er-
richtung eines Völkerschlachtdenk-
mals bei Leipzig" gründete. Daß hier
der rechte Mann am rechten Platze stand,
bewies der Erfolg seiner Aufrufe: schon
ein Jahr später gehörten dem Bunde 45 000
Mitglieder an. Nun durfte man daran
gehen, ein Preisausschreiben zur Erlangung
von Entwürfen für ein Denkmal zu ver-
anstalten, dessen Ergebnisse im Dezember
1895 der Öffentlichkeit vorgelegt wurden.
Den Wünschen des Patriotenbundes ent-
sprach freilich keine der Skizzen völlig, und
so sah sich der Vorstand genötigt, den Pro-
fessor Bruno Schmitz - Charlottenburg
mit der Ausarbeitung eines neuen Denk-
mals-Entwurfes zu betrauen, der denn
auch nach mehrfachen Abänderungen zur
Ausführung angenommen und auf der
Kunstausstellung zu Berlin mit der Gro-
ßen Goldenen Medaille ausgezeichnet
wurde. Die Herstellung der Modelle über-
nahm Professor Behrens in Breslau und
nach dessen am 14. September 1905 erfolg-
tem Tode Professor Franz Metzner in
Zehlendorf. Die Ausführung in Stein
wurde dem Leipziger Bildhauer R. Cöllen
übertragen. Am 18. Oktober 1898konnte der
erste Spatenstich zu den Ausschachtungs-
arbeiten getan, zwei Jahre später in Gegen-
wart einer großen Festversammlung der
Grundstein gelegt werden. Daß man hier-
zu denselben Stein nahm, an den sich schon
1863 die Hoffnungen der Patrioten ge-
knüpft hatten, darf als ein Zeichen sinniger
Pietät gelten. Das Gelöbnis, das der
Deutsche Patriotenbund damals durch den
Mund seines Vorsitzenden ablegte: „nicht
ruhen und nicht rasten zu wollen, bis
seine Aufgabe mit Gottes Hilfe erfüllt
sei", hat er treu gehalten. Langsam aber
stetig tauchten aus der Tiefe der einst
mit Kriegerblut getränkten Erde die wuch-
tigen Fundamente aus Stampfbeton auf,
langsam aber stetig wuchs der granitene
Quaderbau über die weite Ebene des
Schlachtfeldes empor. Schon in seinen
ersten Anfängen zeigte das Werk den über-
wältigend großartigen Charakter, der das
Völkerschlachtdenkmal vor allen Monumen-
ten der Welt auszeichnet. Kein Wunder,
daß mit dem Fortschreiten des Baus auch
das Interesse des Publikums wuchs, und
daß an jedem schönen Tage ganze Scharen
von Schaulustigen aus der Stadt hinaus-
pilgerten , um den Fortgang dieser Kyklo-
penarbeit zu beobachten.
Obgleich durchschnittlich nicht mehr als
vierzig Arbeiter am Bau beschäftigt waren,
wurde das Werk in den letzten Jahren doch
so gefördert, daß am 13. Mai 1912 der
Schlußstein eingefügt werden konnte. Im
Sommer desselben Jahres wurde auch mit
der Abtragung des Holzgerüstes begonnen,
das den steinernen Kern so lange wie ein
feiner Spitzenschleier umhüllt hatte. Sein
Aufbau hatte das hübsche Sümmchen von
250 000 Mark gekostet, und wenn man alle
dabei verwandten Balken in einer geraden
Linie aneinander gelegt hätte, so würde
diese von Leipzig bis Breslau gereicht
haben.
Aber auch jetzt gab es noch manches zu
tun. Galt es doch, an die Skulpturen im
Inneren und an den Außenseiten die letzte
Feile zu legen und die wahrhaft monumen-
talen Anlagen zu schaffen, die das Denk-
mal umrahmen und zur Erhöhung seiner
Bruderzwist, der siegreiche Krieg gegen den
alten Erbfeind jenseits der Vogesen, die
Gründung des neuen Deutschen Reiches
lenkten das Denken und Fühlen des Volkes
in neue Bahnen, und der ungeahnte Auf-
schwung des gesamten Erwerbslebens wäh-
rend der siebziger und achtziger Jahre zei-
tigte einen Materialismus, der derBegeiste-
rung und dem Heldentum der Ahnen gleich-
gültiggegenüberstand. Ein bei Gelegenheit
des fünfundsiebzigsten Jahrestages der
Völkerschlacht erlassener Aufruf hatte das
klägliche Ergebnis, daß aus ganz Deutsch-
land nur 19 000 Mark zu einem Denkmale
zusammenkamen. Es sah wirklich so aus,
als ob die Ehrenschuld der Nation gegen
die Helden von 1813 ungetilgt bleiben
sollte.
Da trat zu Anfang der neunziger Jahre
in Leipzig ein Bürger auf, der die Begeiste-
rung für den Gedanken eines würdigen
Riesenmonumentes, der ihn selbst beseelte,
andern mitzuteilen und der, aller Teil-
nahmlosigkeit, allen Anfeindungen, allem
Hohn und Spott zum Trotz, mit der zähen
Ausdauer des echten Idealisten für seine
kühne Idee zu werben verstand. Es war
der Baumeister und Architekt Clemens
Thieme, der am 26. April 1894 mit einer
kleinen Anzahl Gesinnungsgenossen den
„Deutschen Patriotenbund zur Er-
richtung eines Völkerschlachtdenk-
mals bei Leipzig" gründete. Daß hier
der rechte Mann am rechten Platze stand,
bewies der Erfolg seiner Aufrufe: schon
ein Jahr später gehörten dem Bunde 45 000
Mitglieder an. Nun durfte man daran
gehen, ein Preisausschreiben zur Erlangung
von Entwürfen für ein Denkmal zu ver-
anstalten, dessen Ergebnisse im Dezember
1895 der Öffentlichkeit vorgelegt wurden.
Den Wünschen des Patriotenbundes ent-
sprach freilich keine der Skizzen völlig, und
so sah sich der Vorstand genötigt, den Pro-
fessor Bruno Schmitz - Charlottenburg
mit der Ausarbeitung eines neuen Denk-
mals-Entwurfes zu betrauen, der denn
auch nach mehrfachen Abänderungen zur
Ausführung angenommen und auf der
Kunstausstellung zu Berlin mit der Gro-
ßen Goldenen Medaille ausgezeichnet
wurde. Die Herstellung der Modelle über-
nahm Professor Behrens in Breslau und
nach dessen am 14. September 1905 erfolg-
tem Tode Professor Franz Metzner in
Zehlendorf. Die Ausführung in Stein
wurde dem Leipziger Bildhauer R. Cöllen
übertragen. Am 18. Oktober 1898konnte der
erste Spatenstich zu den Ausschachtungs-
arbeiten getan, zwei Jahre später in Gegen-
wart einer großen Festversammlung der
Grundstein gelegt werden. Daß man hier-
zu denselben Stein nahm, an den sich schon
1863 die Hoffnungen der Patrioten ge-
knüpft hatten, darf als ein Zeichen sinniger
Pietät gelten. Das Gelöbnis, das der
Deutsche Patriotenbund damals durch den
Mund seines Vorsitzenden ablegte: „nicht
ruhen und nicht rasten zu wollen, bis
seine Aufgabe mit Gottes Hilfe erfüllt
sei", hat er treu gehalten. Langsam aber
stetig tauchten aus der Tiefe der einst
mit Kriegerblut getränkten Erde die wuch-
tigen Fundamente aus Stampfbeton auf,
langsam aber stetig wuchs der granitene
Quaderbau über die weite Ebene des
Schlachtfeldes empor. Schon in seinen
ersten Anfängen zeigte das Werk den über-
wältigend großartigen Charakter, der das
Völkerschlachtdenkmal vor allen Monumen-
ten der Welt auszeichnet. Kein Wunder,
daß mit dem Fortschreiten des Baus auch
das Interesse des Publikums wuchs, und
daß an jedem schönen Tage ganze Scharen
von Schaulustigen aus der Stadt hinaus-
pilgerten , um den Fortgang dieser Kyklo-
penarbeit zu beobachten.
Obgleich durchschnittlich nicht mehr als
vierzig Arbeiter am Bau beschäftigt waren,
wurde das Werk in den letzten Jahren doch
so gefördert, daß am 13. Mai 1912 der
Schlußstein eingefügt werden konnte. Im
Sommer desselben Jahres wurde auch mit
der Abtragung des Holzgerüstes begonnen,
das den steinernen Kern so lange wie ein
feiner Spitzenschleier umhüllt hatte. Sein
Aufbau hatte das hübsche Sümmchen von
250 000 Mark gekostet, und wenn man alle
dabei verwandten Balken in einer geraden
Linie aneinander gelegt hätte, so würde
diese von Leipzig bis Breslau gereicht
haben.
Aber auch jetzt gab es noch manches zu
tun. Galt es doch, an die Skulpturen im
Inneren und an den Außenseiten die letzte
Feile zu legen und die wahrhaft monumen-
talen Anlagen zu schaffen, die das Denk-
mal umrahmen und zur Erhöhung seiner