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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
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Kurz, Isolde: Der strahlende Held
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0288

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Isolde Kurz:


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ging, und saß hinter ihm auf der Stroh-
matte vor dem Zelte, wo er die Reden der
fremden Häuptlinge anhörte und mit ihnen
Geschenke tauschte oder Blutsbrüderschaft
schloß. Sie war auch dabei, wenn die
Büchsen knallten und die Pfeile der Wil-
den um das kühne Häuflein schwirrten.
Da gab es Strecken, wo jeder Fußbreit
Weges mit Blut bezahlt werden mußte
und wo die Gefahr in ihrem Rücken nicht
kleiner war als im Angesicht. Da zeigte
sich erst ihr Held in seiner vollen Größe.
Immer tauchte er unversehrt aus dem Ge-
tümmel auf, er war an allen Stellen zu-
gleich, sein Mund gab Befehle, sein Blick
gab Sicherheit, seine Kugel fehlte niemals.
Nur die letzte behielt er immer im Lauf,
sie war für das kleine Bräutchen in höchster
Not, damit sie nicht schutzlos in den Hän-
den der Wilden bliebe.
O und die Nächte im Zelt, die wunder-
samen stillen Tropennächte! Palisaden
schützten das Lager, in dem man, um die
wilden Tiere abzuschrecken, große Feuer
unterhalten mußte, deren Widerschein phan-
tastisch in den hohen Palmenkronen spielte.
Das kleine Mädchen konnte sorglos schla-
fen, denn außen schritt ihr großer Freund,
die Waffe in der Hand, an allen Zelten
entlang und horchte, ob nirgends Meuterei
und Verrat sich rühre.
Einmal drohten ihnen die Vorräte aus-
zugehen. Da schlugen sie ein Dauerlager
auf und säten in den jungfräulichen Grund,
der schnell und willig seine Früchte hergab.
Währenddessen ruhten die Waffen und
alles war eitel Spiel und Freude. Der
große Freund ging zur Jagd und schoß
Zebras, Giraffen und Antilopen, die der
schwarze Koch so wohlschmeckend zuzuberei-
ten wußte. Das kleine Mädchen saß vor
dem Zelt, hörte die Schwarzen auf den
ihr wohlbekannten Blasinstrumenten musi-
zieren und ergötzte sich an ihren Tänzen,
die sie mit improvisierten Gesängen beglei-
teten. Damals geschah es auch, daß am
Hellen Tage die große Schlange in ihr Zelt
kroch, als das kleine Mädchen zu Mittag
schlummerte, und daß der große Freund,
der eben dazukam, ihr mit dem Gewehr-
kolben den Halswirbel zerbrach. Es war
jener k^tbov ssdas, der mit seinen schreck-
haften Ringeln jetzt das Hauptstück in ihres
Vaters Sammlung bildete.

Die Jahre vergingen, sie bemerkte es
kaum. Ihr Körper wandelte im Eltern-
haus in der Heimatstadt, er wuchs und
blühte immer schöner auf, er tanzte, ritt,
spielte Tennis und ward von allen bewun-
dert. Ihre Seele aber wußte nichts davon.
Die wohnte, mit einer leichteren Hülle an-
getan, über fünfzig Breitegraden am Fuß
des neu entdeckten Berges, wo ihr Strom,
die Perenna, aus ewigen Quellen rauschte.
Vierzehnjährig sah sie wie eine Erwach-
sene aus. Ihre Schönheit zog schon die
ersten Freier an. Ihre Augen gaben den
Menschen Rätsel auf, so fern und uner-
gründlich blickten sie: Urwald und Ozean
träumten in ihren Tiefen. Weil Perenna
so wenig nach ihren Verehrern fragte, nahm
man an, daß sie auf ihren Erich warten
wolle, und die beiderseitigen Eltern billig-
ten im voraus den Bund ihrer Kinder.
Erich allein wußte um ihren Traum.
Ihm erzählte sie Kapitel für Kapitel den
Inhalt des Buches, und er ließ sich mit-
begeistern. Nur daß sie alles auf sich be-
zog, machte ihn traurig.
Ein schöner Stern, der eine Zeitlang
allabendlich über ihrem Hause stand, erregte
ihre Aufmerksamkeit. Wenn er besonders
hell funkelte, so meinte sie, der strahlende
Held blicke ihn jetzt eben an und denke viel-
leicht dabei an sein Bräutchen, davon be-
komme der Stern solchen Glanz.
„Du lebst in lauter Einbildungen, Pe-
renna," sagte ihr Erich. „Er sieht den
Stern gar nicht. Über ihm steht ein anderer
Himmel. Er sieht den Canopus und das
südliche Kreuz, die wir nicht sehen können."
„Wo steht das südliche Kreuz?" fragte
Perenna am Abend den Vater.
Der deutete nach Süden. „Wenn unser
Himmel klarer wäre, kleines Mädchen, so
würde ich dir dort tief unten das Sternbild
des Raben zeigen können. Von diesem
Sternbild, das du nicht siehst, dir aber vor-
stellen mußt, zieh du eine Linie zum Hori-
zont und darüber hinaus immer weiter
in südlicher Richtung, so kommst du an die
Stelle am Himmel, wo das südliche Kreuz
steht. Auf meiner Orientreise hat es mich
lange begleitet, bis ich auf dem Ozean un-
gern von ihm Abschied nahm."
Nun suchte das kleine Mädchen jeden
Abend mit ihren Gedanken den Punkt am
Himmel, der sich mit dem südlichen Kreuz
 
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