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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

DOI Heft:
Heft 2 (Oktober 1913)
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Vockerat, Philipp: Schaufenster-Künste
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0294

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232 Philipp Vockerat:


Festdekoration der Königl. Porzellanmanufaktur in Berlin bei Gelegenheit des Regierungsjubiläums
des Kaisers

man mit einigem Entsetzen, daß hinter den
großen Glasscheiben immer noch der alte
Ungeschmack seine Orgien feierte. Unsere
Zeit hätte nicht die finstere, fast zähneknir-
schende Entschlossenheit zu radikaler Kultur-
arbeit besessen, die dem künftigen Historiker
als charakteristisch für sie erscheinen wird,
wenn sie sich nicht mit Feuereifer auf das
Thema gestürzt hätte, das hier der Lösung
harrte. Es mußte eine Einheit hergestellt
w erden zwischen dem Äußeren d es Gesch äfts-
hauses und der Einrichtung des Inneren,
und das Schaufenster sollte dabei die Rolle
des Vermittlers spielen.
Die Aufgabe war dadurch interessant,
daß es sich dabei im eigentlichsten Sinne
um „angewandte" Kunst handelte. Mit
absoluter, in der Luft schwebender Ästhetik
war hier nichts anzufangen, wo vor allen
Dingen der Geschäftsmann mit seinen prak-
tischen Forderungen auftrat. Aber gerade
dies reizte. Denn so schloß sich die „Schau-
fensterologie" dem großen Kreise künstle-
rischer Bemühungen an, die allenthalben
aus den realen Bedingungen die verfeiner-
ten Formen gewinnen, das rohe Material
durch sinngemäße und feinfühlige Behand-

lung veredeln wollten. Das Material beim
Schaufenster ist hundertfach verschieden,
aber prinzipiell ist es immer dasselbe: die
Ware, die der Kaufmann führt und ver-
kaufen will und auf die er die Aufmerk-
samkeit der Vorüberwandelnden lenken
möchte. Wie soll mit diesem Material
gewirtschaftet werden? Die Antwort lau-
tete früher recht unkultiviert: durch Vor-
führung möglichst großer Quantitäten!
Der Kaufmann meinte, je mehr Waren
der verschiedensten Sorten und Nuancen
er ins Schaufenster stopfe, je bunter und ge-
drängter sich diese Auswahl von Mustern
präsentiere, um so stärker werde die Neu-
gier des Straßenwanderers gekitzelt wer-
den, um so eher würde jeder das finden,
was er suche, oder etwas entdecken, was
ihn reize.
So hatte sich das Schaufenster bis etwa
zum Jahre 1900 entwickelt. Es hatte noch
keine lange Geschichte hinter sich. Dem acht-
zehnten und beginnenden neunzehnten
Jahrhundert war es noch fremd. Ein
Geschäftshaus unterschied sich nicht von
einem Wohnhaus, weder außen noch innen,
und am wenigsten in der Gestaltung der
 
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