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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

DOI issue:
Heft 2 (Oktober 1913)
DOI article:
Semerau, Alfred: Die Amazonen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0307

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ÜLLBLLEL LLSELEEW Die Amazonen LSL


245

Fluß. Walter Raleigh nennt als östliche
Nachbarn des Königreichs Euiana die Ama-
zonen, „von denen der große Fluß Amazo-
nas seinen Namen bekommen, diese sind nur
Weiber, welche bei sich keine Männer zu
wohnen gedulden, sondern von Jugend auf
im Krieg auferzogen und geübt sind und
mit ihren Feinden, gegen die sie grausam
und blutdürstig, immerwährend ernstliche
Kriege führen. Sie gesellen sich aber jähr-
lich einen Monat (so man meint, daß es der
April sei) zu den Männern, auf daß ihr Ge-
schlecht nicht ganz und gar untergehe. In
diesem Monat kommen alle benachbarten
Könige zusammen, wie auch die amazoni-
schen Weiber, welche Kinder zu gebären al-
tershalber bequem sind; alsdann erwählt die
Königin dieser Weiber einen von den Kö-
nigen, so ihr gefällig; dann werfen die an-
dern das Los, was eine jede für einen zur
Gesellschaft bekomme. Bleiben also diesen
Monat beisammen, sind fröhlich, tanzen,
springen, essen und trinken nach ihrer Weise
untereinander, und wenn der Monat vor-
über, wendet sich jeder wieder zu seinem
Land. Die Weiber, so schwanger werden
und nachmals Knäblein gebären, schicken die-
selben ihrem Vater zu, die Töchter aber be-
halten sie bei sich und erziehen sie und
schicken dem Vater zur Anzeigung einer
Dankbarkeit etliche Geschenke. Sie haben
überaus viel Gold, welches sie für etliche
grüne Steinlein von ihren Nachbarn be-
kommen."
Wenn aber in den Reiseberichten wieder
und wieder die mehr oder minder ausge-
schmückten Erzählungen von den Amazonen
wiederkehren, so fand sich doch auch mancher,
der all diese Geschichten mit größtem Zweifel
betrachtete, so Sebastian Münster in seiner
Kosmographie, der, nachdem er von den

Fabeln der Alten gesprochen, kurz erklärt:
„Man redt von den Amazonibus nock, zur
zeit, was man vor vielen jaren von ihnen
geredt hat, wiewol solch Ding bei mir keinen
glauben haben. Dann ich kann es nicht wol
in mein Hertz fassen, daß je ein gantzer Heer-
zug, oder ein Statt oder ein Volk auß eytel
Weybern auffgericht sey worden, die nicht
allein ihren Nachbaren überlestig seyen ge-
wesen, sondern auch ein Heerzug über das
Pontisch Meere biß ins Attikam geschickt
haben."
Die Legende von kriegerischen Frauen er-
hielt sich allem Zweifel zum Trotz; ob man
sie nun „große Weiber" oder „Weiber ohne
Männer" oder „Frauen, die allein leben"
nennt, so sind doch die Grundzüge in allen
Sagen dieselben. Richard Schomburgk noch
hörte am Demeranefluß den gleich phanta-
stischen Bericht, den dreihundert Jahre früher
Orellana vernommen. Aber anders wie die
Spanier, die Krankheit und Hunger zurück-
trieben, verfolgte er die Amazonen bis zu
ihrem letzten Schlupfwinkel am Corentin.
Daß die Legende von diesen Mannweibern
ein so langes Leben hatte, erklärt sich aus
dem kriegerischen Charakter der Frauen
mancher Stämme der Neuen Welt, wie es
denn zu allen Zeiten Weiber gab, die an
Mut, Tapferkeit und Ausdauer den Män-
nern ein Vorbild sein konnten. Fast jedes
Volk und jede Zeit nennt eine Amazone ihr
eigen, von Judith an, die Holofern besiegte,
und der Skythenkönigin Tomyris, die den
großen Cyrus unterwarf, bis auf die letzten
Jahrhunderte. Naturgemäß erheben sich diese
Amazonen in kriegerisch bewegten Zeiten
am höchsten, und manche hat im Dichter ihren
begeisterten Herold gefunden, so Jeanne
d'Arc, Auguste Krüger, „das Mädchen von
Friedland", Eleonore Prohaska.


Relief aus dem Amazonenfries des Mausoleums zu Halikarnaß
(Im Britischen Museum zu London)
 
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