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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 2 (Oktober 1913)
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Hart, Hans: Wunderkinder [2]: Roman : (Fortsetzung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0318

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ELLESI Hans Hart: U

256 VOLLES



weder gestern noch heute heimgekommen
war, sich von Martha Bericht erstatten ließ
und dann mit den höchsten Lobesworten
nicht sparte. Befriedigt las er ein kleines
Kärtchen, das für Karl Maria gekommen
war, von der Hand der alten, boshaften
Gräfin, die den lieben, kleinen Tredenius
für Freitag zu einem musikalischen Tee
bat — samt seiner Geige, wie sie schrieb.
„Schau nur, daß du jetzt in Mode
kommst," ermahnte Vater Tredenius und
blickte triumphierend von einem zum an-
dern.
Frau Lisbeth zog die Brauen finster
zusammen: „Geh jetzt schlafen, Karl
Maria!"
Da beschloß der Knabe, seiner Mutter
nichts von Hans Geßner zu erzählen. Als
er schon im Bett lag, kam die Schwester
zu ihm, fütterte ihn mit glasierten Kasta-
nien, küßte ihn und lispelte: „Gelt, Bubi,
ich habe doch riesig gefallen?" —
So griff das Schicksal, dem Graf Achaz
Rothenwolff einen derben Stoß gegeben,
nach dem Wunderknaben Karl Maria
Tredenius. Abend für Abend geigte er
nun in reichen Privatzirkeln, fand viel
Beifall und ungeschickte Lobesworte, die
sein Herz eitel und stolz machten, daß er
verdrossen und grämlich auf die Armut
daheim blickte. Zum ersten Male gab es
in der Schule Schwierigkeiten. Aus Müdig-
keit und Hochmut wurde er unaufmerksam
und geriet langsam ins Hintertreffen. Das
leise Mißtrauen, das dadurch in dem ver-
wöhnten Jungen wach wurde, suchte er
durch doppelte Hingebung an seine Geige
zu besiegen. Er trieb Joseph Italiener,
ihm immer neue technische Kunststücke zu
zeigen, und der Allzugutmütige war schwach
genug, dem schönen Knaben nachzugeben.
So lernte Karl Maria die Schwierigkeiten
der Teufelssonate von Tartini mit un-
heimlicher Geschicklichkeit besiegen und be-
kam zu gleicher Zeit im Gymnasium lauter
schlechte Noten. Aus dem Palais der alten
Gräfin fand er schnell seinen Weg in andere
vornehme Häuser, und schließlich blickte er
hochmütig und gelangweilt drein, wenn
er nicht geigte oder kein Beifall um ihn
rauschte.
Und jetzt fing auch der erste Goldregen
zu fließen an. Franz Tredenius verwan-
delte sich sofort in einen Manager und

Kassierer. Er führte die Korrespondenz
mit all den Herrschaften und war nicht
allzu bescheiden. Karl Maria aber kaufte
von dem Gelde, das ihm der Vater un-
klugerweise überließ, wenn er auch den
Löwenanteil selbst einsackte, allerlei Ge-
schenke für seine Mutter in der reinen
Kinderfreude, viel schenken zu können. Auch
die Miriam bekam einen feinen Winterhut
und ein hübsches Ringlein.
„Ach, Karl Maria," klagte sie, als sie
den Ring an den Finger steckte, „wäre ich
nur auch schon so weit!" Und fügte kokett
hinzu: „Wirst du mich heiraten, wenn ich
eine dicke Sängerin bin?" Mit einemmal
lag ein jäher Ernst auf dem unfertigen
Mädelgesicht mit der kurzen, kecken Nase
und dem breiten Mund.
„Vielleicht," nickte Karl Maria gnädig
und dachte an die schönen Frauen, die ihn
abends küßten.
Miriam schürzte trotzig die Lippen. „So,
vielleicht? Na warte, da nehme ich ganz
einfach einen Fürsten mit hundert Dienern.
Und du darfst mir zur Hochzeit aufspielen."
Wie eine beleidigte Königin sprang sie da-
von und ließ den Träumer allein. Und
bald vernahm Karl Maria aus dem Neben-
zimmer ein Helles Liedlein, das keck auf-
wärtsstieg wie goldiger Abendrauch. So
flog ihm die Seele der Miriam davon. Er
krampfte die Hände ineinander, als trüge
er an einer allzuschweren Last, aber er biß
die Zähne zusammen in einer verzweifelten
Tapferkeit, die wie ein Krampf durch seine
Muskeln lief. Dann stürzte er hinaus auf
die Gasse, ließ den eiskalten Winterwind
um seine heißen Schläfen wehen und kaufte
schließlich für den Nest seiner Barschaft
dunkelrote Rosen für seine Mutter.
So führten Hoffnung und Mutlosigkeit
Karl Maria Tredenius gar wunderliche
Wege. An dem Lichtflämmchen aber, an
dem ihres kleinen Bruders Seele verbrannte,
wärmte Martha Tredenius ihre Selbstsucht.
Unermüdlich ging sie mit ihm in alle Ge-
sellschaften, als Aufsicht und Obhut und
doch nur als flinke Räuberin für sich selbst,
biß sich wacker und zäh durch Spott und
Zurücksetzung und galt bald als die ent-
zückende, pikante Schwester des schönen,
interessanten Geigerknaben Tredenius. So
spann sich das Dasein der Geschwister hin.
Als Puppenspieler dieser Tragödie jun-
 
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