vr. Walter Hoof: Die europäischen Dynastien 295
gangen, in kaiserlichen Militärdienst, und
1816 hatte er die erbtragende letzte Ange-
hörige eines ungarischen altvornehmen Mag-
natengeschlechtes geheiratet, der Kohary in
der Szalader Gespanschaft. Der ältere Sohn
aus dieser Koburg-Kohary-Ehe, Ferdinand
geheißen, wie der Vater, wurde der König
in Portugal. Der zweite war August, der
1843 die Prinzessin Klementine von Orleans
heiratete, Tochter König Ludwig Philipps
von Frankreich. Die schon damals mehr-
fälligen Heiratsverbindungen der Koburger
und der Orleans — der für die altlegitimen
Höfe stets etwas anstößig bleibenden Dy-
nastie der Julirevolution und des „Bürger-
königtums" — wurden so um eine weitere
vermehrt. Eben das war 1831 der belgischen
Kandidatur Leopolds wesentlich zugute ge-
kommen, daß der Kummer Ludwig Philipps
über die entschwindende orleansscheSekundo-
genitur in Brüssel gemildert wurde durch
die Werbung des Koburgers als Schwieger-
sohn, so daß wenigstens seine Tochter Luise
belgische Königin wurde. Jener 1843 ge-
schlossenen Ehe des August von Koburg-
Kohary mit Klementine von Orleans, der
Schwester der belgischen Königin, entsprangen
drei Söhne. Von ihnen ist es der jüngste,
ein dritter Ferdinand, der 1887 nach dem
tragisch unterlegenen Battenberger auf den
bulgarischen Fürstenthron gelangte und heute
der Zar von Bulgarien heißt.
Zur Vollständigkeit sei nachgetragen, daß
Prinz Leopold, längst bevor er König der
Belgier wurde, sein Augenmerk auf andere
Möglichkeiten gerichtet hielt. Zunächst ge-
wann er die große Aussicht, als Gemahl
der Tochter Georgs IV., der künftigen Erbin
Englands, die allgebietende britische Politik
zu leiten. Hierum betrog ihn der Tod dieser
Prinzessin nach nur einjähriger Ehe. Dann
wollte er König der ihre Freiheit erkämpfen-
den Griechen werden und erlangte in der
Tat die Wahl. Mit dieser augenfälligen
Hinlenkung auf seine Person begnügt^ er sich
aber, weil schon wieder dem Klugen minder
bedenkliche Aussichten in Westeuropa winkten.
Er konnte aufs neue rechnen mit Einfluß
auf die englische Politik, durch die verehrungs-
volle Hingabe der nunmehrigen Thronerbin
Viktoria, die seine junge Nichte war (als
Tochter seiner Schwester, der Herzogin von
Kent). Im vollen Maße haben sich diese Er-
wartungen dann erfüllt, während er selber
inzwischen König in Belgien geworden war,
indem Viktoria unter allen ihren Freiern
einen Neffen Leopolds auswählte, ihren
Vetter Albert von Koburg, den zweiten Sohn
Ernsts I. im thüringischen Heimatsherzogtum.
In den veröffentlichten Briefen der Königin
Viktoria liegen die Zeugnisse vor, mit wel-
cher Detailliertheit der berühmte Oheim in
Brüssel für das englische Paar der lenkende
Inspirator in britischen und europäischen
Angelegenheiten gewesen ist.
Es fehlt in diesen koburgischen Erreichungen
und Betriebsamkeiten von Klugheiten nichts,
als die eigentliche große Eedanklichkeit, die
freilich stets nur aus dem reinen Quell der
selbstlosen Darbringungskraft entspringt. Sie
werden ein thronenreiches, aber nicht eigent-
lich ein großes und hoheitsvolles Haus. Was
durch den dynastischen Konzern der Koburger
in den höchsten Geburtsrang Europas neu-
artig hineinkam, war ostentative Vorurteils-
losigkeit und das planvolle Ausnutzen von
unbesinnlichen Modernitäten. Unter diesen
steht an erster Stelle der landläufige Libera-
lismus, der durch sie und die Orleans erst-
mals auf den Thronen erschien. Wer zwar
Leopold i. genauer kannte, wußte, daß er
innerlich so kalt und menschenverachtend war,
wie irgendein kleinfürstlicher Sultan des acht-
zehnten Jahrhunderts. — Daß diese Abkömm-
linge der berühmten Ernestiner aus der Lu-
therzeit einen Religionswechsel als leichtwie-
gend betrachteten und schon die Kohary-Erb-
schaft ihnen eine Messe wert war, wie danach
die katholischen Throne, sei nur erwähnt, als
eine auch sonst vorkommende Erscheinung.
In Leopold I. von Belgien und seinem
ihm merkwürdig ähnlichen, den Vater
nur unterstreichenden Sohne Leopold II.
tritt noch eine besondere neueste Speziali-
tät hervor, die der „Könige mit dem Kurs-
zettel in der Tasche"; die Spezialität der
hohen Mitgänger der Börse, nicht ohne die
Ergänzung durch die Leidenschaft, billig Ra-
ritäten, Bilder, Antiquitäten, Bücher zusam-
menzuhamstern, und durch die Neigungen zur
evmndi-tz LSparee. Es war interessant, wie
nach allen guten oder schlechten Witzen über
Leopold II. bei seinem Tode in manchen
Zeitungsnekrologen sich ein klugrednerisches
Einverständnis mit dieser Art von Königtum
hervortat. Indessen die Zeitungen, bei allem
unbedingten Einfluß auf öffentliche Gedanken-
bildungen, sind doch noch nie die öffentliche
Meinung selbst gewesen. Deshalb weil sie
keine Macht über die sich immer wieder
impulsiv zurechtfindenden Empfindungen
haben, über den seelischen Teil im Leser, der
wertvoller als seine unkritischen, fügsamen,
unentwickelten Gedanken ist. Das Bild des
gekrönten spekulativen Finanzmannes, für
dessen Konstruktion man Leopold II. benutzen
wollte, ist vorerst noch wieder in Wirkungs-
losigkeit versunken. Nicht zuletzt durch die
schönere Sympathie, die sich auf das neue
Königspaar in Brüssel vereinigte, Leopolds
Neffen und seine bayrische Gemahlin, die
Tochter Karl Theodors aus der Wittelsbacher
Herzogslinie.
Die Ausbreitung der Häuser Oldenburg
und Koburg auf eine erhebliche Anzahl
auswärtiger Throne ist bei all ihrer ge-
wissen Ungewöhnlichkeit doch auch nur eine
Fortsetzung des Vorganges, daß vom frü-
hen Mittelalter in ganz Europa vornehme
Deutsche sich in Fürsten- und Königsämter
emporgeschwungen haben. Und zwar haben
sie dazu so gut wie nie die gewalttätig-
kühnen Mittel des römisch-romanischen Cäsa-
rismus oder Napoleonismus angewendet.
gangen, in kaiserlichen Militärdienst, und
1816 hatte er die erbtragende letzte Ange-
hörige eines ungarischen altvornehmen Mag-
natengeschlechtes geheiratet, der Kohary in
der Szalader Gespanschaft. Der ältere Sohn
aus dieser Koburg-Kohary-Ehe, Ferdinand
geheißen, wie der Vater, wurde der König
in Portugal. Der zweite war August, der
1843 die Prinzessin Klementine von Orleans
heiratete, Tochter König Ludwig Philipps
von Frankreich. Die schon damals mehr-
fälligen Heiratsverbindungen der Koburger
und der Orleans — der für die altlegitimen
Höfe stets etwas anstößig bleibenden Dy-
nastie der Julirevolution und des „Bürger-
königtums" — wurden so um eine weitere
vermehrt. Eben das war 1831 der belgischen
Kandidatur Leopolds wesentlich zugute ge-
kommen, daß der Kummer Ludwig Philipps
über die entschwindende orleansscheSekundo-
genitur in Brüssel gemildert wurde durch
die Werbung des Koburgers als Schwieger-
sohn, so daß wenigstens seine Tochter Luise
belgische Königin wurde. Jener 1843 ge-
schlossenen Ehe des August von Koburg-
Kohary mit Klementine von Orleans, der
Schwester der belgischen Königin, entsprangen
drei Söhne. Von ihnen ist es der jüngste,
ein dritter Ferdinand, der 1887 nach dem
tragisch unterlegenen Battenberger auf den
bulgarischen Fürstenthron gelangte und heute
der Zar von Bulgarien heißt.
Zur Vollständigkeit sei nachgetragen, daß
Prinz Leopold, längst bevor er König der
Belgier wurde, sein Augenmerk auf andere
Möglichkeiten gerichtet hielt. Zunächst ge-
wann er die große Aussicht, als Gemahl
der Tochter Georgs IV., der künftigen Erbin
Englands, die allgebietende britische Politik
zu leiten. Hierum betrog ihn der Tod dieser
Prinzessin nach nur einjähriger Ehe. Dann
wollte er König der ihre Freiheit erkämpfen-
den Griechen werden und erlangte in der
Tat die Wahl. Mit dieser augenfälligen
Hinlenkung auf seine Person begnügt^ er sich
aber, weil schon wieder dem Klugen minder
bedenkliche Aussichten in Westeuropa winkten.
Er konnte aufs neue rechnen mit Einfluß
auf die englische Politik, durch die verehrungs-
volle Hingabe der nunmehrigen Thronerbin
Viktoria, die seine junge Nichte war (als
Tochter seiner Schwester, der Herzogin von
Kent). Im vollen Maße haben sich diese Er-
wartungen dann erfüllt, während er selber
inzwischen König in Belgien geworden war,
indem Viktoria unter allen ihren Freiern
einen Neffen Leopolds auswählte, ihren
Vetter Albert von Koburg, den zweiten Sohn
Ernsts I. im thüringischen Heimatsherzogtum.
In den veröffentlichten Briefen der Königin
Viktoria liegen die Zeugnisse vor, mit wel-
cher Detailliertheit der berühmte Oheim in
Brüssel für das englische Paar der lenkende
Inspirator in britischen und europäischen
Angelegenheiten gewesen ist.
Es fehlt in diesen koburgischen Erreichungen
und Betriebsamkeiten von Klugheiten nichts,
als die eigentliche große Eedanklichkeit, die
freilich stets nur aus dem reinen Quell der
selbstlosen Darbringungskraft entspringt. Sie
werden ein thronenreiches, aber nicht eigent-
lich ein großes und hoheitsvolles Haus. Was
durch den dynastischen Konzern der Koburger
in den höchsten Geburtsrang Europas neu-
artig hineinkam, war ostentative Vorurteils-
losigkeit und das planvolle Ausnutzen von
unbesinnlichen Modernitäten. Unter diesen
steht an erster Stelle der landläufige Libera-
lismus, der durch sie und die Orleans erst-
mals auf den Thronen erschien. Wer zwar
Leopold i. genauer kannte, wußte, daß er
innerlich so kalt und menschenverachtend war,
wie irgendein kleinfürstlicher Sultan des acht-
zehnten Jahrhunderts. — Daß diese Abkömm-
linge der berühmten Ernestiner aus der Lu-
therzeit einen Religionswechsel als leichtwie-
gend betrachteten und schon die Kohary-Erb-
schaft ihnen eine Messe wert war, wie danach
die katholischen Throne, sei nur erwähnt, als
eine auch sonst vorkommende Erscheinung.
In Leopold I. von Belgien und seinem
ihm merkwürdig ähnlichen, den Vater
nur unterstreichenden Sohne Leopold II.
tritt noch eine besondere neueste Speziali-
tät hervor, die der „Könige mit dem Kurs-
zettel in der Tasche"; die Spezialität der
hohen Mitgänger der Börse, nicht ohne die
Ergänzung durch die Leidenschaft, billig Ra-
ritäten, Bilder, Antiquitäten, Bücher zusam-
menzuhamstern, und durch die Neigungen zur
evmndi-tz LSparee. Es war interessant, wie
nach allen guten oder schlechten Witzen über
Leopold II. bei seinem Tode in manchen
Zeitungsnekrologen sich ein klugrednerisches
Einverständnis mit dieser Art von Königtum
hervortat. Indessen die Zeitungen, bei allem
unbedingten Einfluß auf öffentliche Gedanken-
bildungen, sind doch noch nie die öffentliche
Meinung selbst gewesen. Deshalb weil sie
keine Macht über die sich immer wieder
impulsiv zurechtfindenden Empfindungen
haben, über den seelischen Teil im Leser, der
wertvoller als seine unkritischen, fügsamen,
unentwickelten Gedanken ist. Das Bild des
gekrönten spekulativen Finanzmannes, für
dessen Konstruktion man Leopold II. benutzen
wollte, ist vorerst noch wieder in Wirkungs-
losigkeit versunken. Nicht zuletzt durch die
schönere Sympathie, die sich auf das neue
Königspaar in Brüssel vereinigte, Leopolds
Neffen und seine bayrische Gemahlin, die
Tochter Karl Theodors aus der Wittelsbacher
Herzogslinie.
Die Ausbreitung der Häuser Oldenburg
und Koburg auf eine erhebliche Anzahl
auswärtiger Throne ist bei all ihrer ge-
wissen Ungewöhnlichkeit doch auch nur eine
Fortsetzung des Vorganges, daß vom frü-
hen Mittelalter in ganz Europa vornehme
Deutsche sich in Fürsten- und Königsämter
emporgeschwungen haben. Und zwar haben
sie dazu so gut wie nie die gewalttätig-
kühnen Mittel des römisch-romanischen Cäsa-
rismus oder Napoleonismus angewendet.