304
REELLES
N Georg Queri:
und daß plötzlich gröbster Dialekt in sein
Schriftdeutsch sich verirrte. Auch pflegten
die neuen Hochzeitslader, die doch etwas
mehr mit Sitte und Brauch verwachsen waren,
Schalkheiten in die ernste Tonart der Fest-
reden zu verpflanzen, zum großen Vergnügen
der Bauern, die wohl den triefenden Ernst
und den schwülstig pastoralen Ton aus alter
Gewohnheit nicht missen wollten, anderseits
aber zu feierlichen Zeiten viel, viel Kurzweil
verlangten. Und demgemäß zog der Hoch-
zeitslader alle Register vom Weinen bis zum
Lachen.
R R W
Für den 24. Juli 1913 hatte der Schwim-
merbauer von Anzing feierlich zu seinem
Ehrentag einladen lassen. Der Hochzeits-
lader trug an seiner Schulter einen Tannen-
zweig und ein weißblaues Band — so ist
die ehr- und tugendsame Hochzeiterin von
vornherein zu loben: denn hätte der Bader
ein rosafarbenes Bändlein getragen, so wär'
die Braut eine von denen gewesen, die ohne
Myrtenkränzlein zur Kirche ziehen müssen.
Und da spricht also der Hochzeitslader:
„Eine schöne Empfehlung des Herrn Hoch-
zeiters, des ehr- und tugendsamen Jung-
gesellen Soundso, und der ehr- und tugend-
samen Jungfrau Hochzeiterin Soundso, so
sind Sie freundlichst eingeladen, kommenden
Dienstag auf die Hochzeit zu kommen, würde
uns also zum Vergnügen und Ehren ge-
reichen, wenn Sie also da kemma taatn."
Die zwei Schlußworte im Dialekt, die dem
holperigen Schriftdeutsch folgen, deuten schon
an, daß der Hochzeitslader nun in einer ver-
nünftigeren Mundart weiterplaudern wird.
Und in eben dieser Mundart wird sich der
Geladene „für die Ehr'" bedanken, und die
Bäuerin wird einen Bissen und einen Trunk
aufwarten oder „sonstwas springen lassen",
was angenehm silbern klingt. Dann geht
der Hochzeitslader „um ein Haus weiter".
Er geht — in der schönen guten alten Zeit
war's, da er noch auf dem besten Roß seines
Auftraggebers ritt und der „Hennadrucker"
oder „Hundswehrer" und der „Kranzlherr"
an seiner Seite gingen. Der eine stahl zum
Spaß Hennen, der andere wehrte mit jokosen
Manieren die Hunde ab, verprügelte die
Jugend, puffte die Weibsleute und was ihm
sonst Schalkhaftes einfiel; der dritte aber, der
Kranzlherr, fungierte als würdige Respekts-
person für den Bräutigam.
Der Hochzeitslader tritt heutzutage seine
Reise „auf vierazwanzg Stund rundumadum"
zumeist allein an. Möglich, daß er darum
etwas mehr Flüssigkeiten zu sich nehmen
muß und am Schluß seiner Reise die alte
Redensart erfüllt und „wacklt wia a Hoch-
zetslader". Da sich solche Folgen mit einiger
Sicherheit voraussehen lassen, ist es gut, daß
die vornehmsten Gäste zuerst geladen werden,
z. B. der Herr Pfarrer oder gar die Jungfer
Braut, die — so aktiv sie auch an der feier-
lichen Sache beteiligt ist — in einigen Land-
strichen offiziell zum Feste eingeladen wird.
Dann macht der Hochzeitslader wohl die
primitiven alten Späße, die seit Jahrhunderten
die gleichen geblieben sind und immer noch
ungeheure Lustbarkeit Hervorrufen: er zieht
die Nase hoch, wenn er das Haus der Braut
betritt, und schnuppert und schnuppert.
„Mir scheint's, ih riach ebbs!"
„Jh hab koani Küachln net bacha!" ent-
gegnet die Bäuerin.
„Küachln san's net — ih riach ebbs
anders!"
„A Gselchts? Mir Ham koa gselchts Fleisch
net dahoam!"
„Jh riach a Braut!"
„Ah, was net gar!"
„Und ih riach a Braut! sag ih." Dann
sucht er das ganze Haus durch, bis er das
Mädel aus einem Versteck an der Schürze
herauszieht und feierlich zum Hochzeitsfeste
verpflichtet.
R W W
Dreimal sind die Verlobten „von der
Kanzel herunterg'schmissn" worden, wie ein
merkwürdiger Sprachgebrauch das Aufbieten
der Verlobten an drei aufeinanderfolgenden
Sonntagen nennt. Und am Dienstag nach
dem letzten Aufgebotssonntag findet dann
die Trauung statt. Der „Kammer-" oder
„Kuchelwagen" mit der Ausstattung der
Braut ist bereits am Samstagabend vor
dem Haus des Bräutigams vorgefahren, und
am Montag hat das „Schreiben" stattgefun-
den, die Ziviltrauung. Ziemlich formlos;
fast möcht' ich's glauben, was die böse Welt
vom Anzinger Bürgermeister erzählt: daß
er einmal zu dieser Staatshandlung in
Schlappschuhen erschienen ist. Aber der Bauer
hält eben die standesamtliche Trauung nur
für eine Formalität, der er nicht annähernd
die Bedeutung beimißt, die der kirchliche Akt
für ihn hat.
Dienstagmorgen: vielleicht kracht schon um
fünf Uhr eine „Böllerkanon'" auf dem Felde,
dieselbe „Kanon'", mit der die alten „Vete-
raner ins Grab g'schossn" werden und die
den feierlichen Fronleichnamstag verkündet.
Und was Heller und öfter das Echo weckt,
das sind die sämtlichen Büchsen das Ortes;
das „Hochzeitsanschießen" läßt sich eben durch
Paragraphen nicht aus der Welt schaffen,
und die hohe Obrigkeit segnet sich an solchen
Tagen Augen und Ohren, um die Übeltäter
nicht zu Horen und zu sehen. Selbst der ge-
strenge Forstmeister Strehle kümmert sich
heut nicht um die „Bauernbirn", weil sein
gut altbayerisches Herz treu an Sitte und
Brauch hängt.
Und wenn die Burschen ihr Pulver ver-
schossen haben, dann ziehen sie zum Wirt
und fordern die Hochzeitssuppe „auf des
Herrn Hochzeiters seine Rechnung": geschnit-
tene Nudeln in der Fleischbrühe und Brat-
würste und ein „Schweinernes" mit Kraut
und natürlich auch einen guten Schluck Bier.
Die Gesellschaft, die sich hier vor der Trauung
gütlich tut, nennt der Anzinger die „Suppen-
lalli", also junge Burschen, die nach den
REELLES
N Georg Queri:
und daß plötzlich gröbster Dialekt in sein
Schriftdeutsch sich verirrte. Auch pflegten
die neuen Hochzeitslader, die doch etwas
mehr mit Sitte und Brauch verwachsen waren,
Schalkheiten in die ernste Tonart der Fest-
reden zu verpflanzen, zum großen Vergnügen
der Bauern, die wohl den triefenden Ernst
und den schwülstig pastoralen Ton aus alter
Gewohnheit nicht missen wollten, anderseits
aber zu feierlichen Zeiten viel, viel Kurzweil
verlangten. Und demgemäß zog der Hoch-
zeitslader alle Register vom Weinen bis zum
Lachen.
R R W
Für den 24. Juli 1913 hatte der Schwim-
merbauer von Anzing feierlich zu seinem
Ehrentag einladen lassen. Der Hochzeits-
lader trug an seiner Schulter einen Tannen-
zweig und ein weißblaues Band — so ist
die ehr- und tugendsame Hochzeiterin von
vornherein zu loben: denn hätte der Bader
ein rosafarbenes Bändlein getragen, so wär'
die Braut eine von denen gewesen, die ohne
Myrtenkränzlein zur Kirche ziehen müssen.
Und da spricht also der Hochzeitslader:
„Eine schöne Empfehlung des Herrn Hoch-
zeiters, des ehr- und tugendsamen Jung-
gesellen Soundso, und der ehr- und tugend-
samen Jungfrau Hochzeiterin Soundso, so
sind Sie freundlichst eingeladen, kommenden
Dienstag auf die Hochzeit zu kommen, würde
uns also zum Vergnügen und Ehren ge-
reichen, wenn Sie also da kemma taatn."
Die zwei Schlußworte im Dialekt, die dem
holperigen Schriftdeutsch folgen, deuten schon
an, daß der Hochzeitslader nun in einer ver-
nünftigeren Mundart weiterplaudern wird.
Und in eben dieser Mundart wird sich der
Geladene „für die Ehr'" bedanken, und die
Bäuerin wird einen Bissen und einen Trunk
aufwarten oder „sonstwas springen lassen",
was angenehm silbern klingt. Dann geht
der Hochzeitslader „um ein Haus weiter".
Er geht — in der schönen guten alten Zeit
war's, da er noch auf dem besten Roß seines
Auftraggebers ritt und der „Hennadrucker"
oder „Hundswehrer" und der „Kranzlherr"
an seiner Seite gingen. Der eine stahl zum
Spaß Hennen, der andere wehrte mit jokosen
Manieren die Hunde ab, verprügelte die
Jugend, puffte die Weibsleute und was ihm
sonst Schalkhaftes einfiel; der dritte aber, der
Kranzlherr, fungierte als würdige Respekts-
person für den Bräutigam.
Der Hochzeitslader tritt heutzutage seine
Reise „auf vierazwanzg Stund rundumadum"
zumeist allein an. Möglich, daß er darum
etwas mehr Flüssigkeiten zu sich nehmen
muß und am Schluß seiner Reise die alte
Redensart erfüllt und „wacklt wia a Hoch-
zetslader". Da sich solche Folgen mit einiger
Sicherheit voraussehen lassen, ist es gut, daß
die vornehmsten Gäste zuerst geladen werden,
z. B. der Herr Pfarrer oder gar die Jungfer
Braut, die — so aktiv sie auch an der feier-
lichen Sache beteiligt ist — in einigen Land-
strichen offiziell zum Feste eingeladen wird.
Dann macht der Hochzeitslader wohl die
primitiven alten Späße, die seit Jahrhunderten
die gleichen geblieben sind und immer noch
ungeheure Lustbarkeit Hervorrufen: er zieht
die Nase hoch, wenn er das Haus der Braut
betritt, und schnuppert und schnuppert.
„Mir scheint's, ih riach ebbs!"
„Jh hab koani Küachln net bacha!" ent-
gegnet die Bäuerin.
„Küachln san's net — ih riach ebbs
anders!"
„A Gselchts? Mir Ham koa gselchts Fleisch
net dahoam!"
„Jh riach a Braut!"
„Ah, was net gar!"
„Und ih riach a Braut! sag ih." Dann
sucht er das ganze Haus durch, bis er das
Mädel aus einem Versteck an der Schürze
herauszieht und feierlich zum Hochzeitsfeste
verpflichtet.
R W W
Dreimal sind die Verlobten „von der
Kanzel herunterg'schmissn" worden, wie ein
merkwürdiger Sprachgebrauch das Aufbieten
der Verlobten an drei aufeinanderfolgenden
Sonntagen nennt. Und am Dienstag nach
dem letzten Aufgebotssonntag findet dann
die Trauung statt. Der „Kammer-" oder
„Kuchelwagen" mit der Ausstattung der
Braut ist bereits am Samstagabend vor
dem Haus des Bräutigams vorgefahren, und
am Montag hat das „Schreiben" stattgefun-
den, die Ziviltrauung. Ziemlich formlos;
fast möcht' ich's glauben, was die böse Welt
vom Anzinger Bürgermeister erzählt: daß
er einmal zu dieser Staatshandlung in
Schlappschuhen erschienen ist. Aber der Bauer
hält eben die standesamtliche Trauung nur
für eine Formalität, der er nicht annähernd
die Bedeutung beimißt, die der kirchliche Akt
für ihn hat.
Dienstagmorgen: vielleicht kracht schon um
fünf Uhr eine „Böllerkanon'" auf dem Felde,
dieselbe „Kanon'", mit der die alten „Vete-
raner ins Grab g'schossn" werden und die
den feierlichen Fronleichnamstag verkündet.
Und was Heller und öfter das Echo weckt,
das sind die sämtlichen Büchsen das Ortes;
das „Hochzeitsanschießen" läßt sich eben durch
Paragraphen nicht aus der Welt schaffen,
und die hohe Obrigkeit segnet sich an solchen
Tagen Augen und Ohren, um die Übeltäter
nicht zu Horen und zu sehen. Selbst der ge-
strenge Forstmeister Strehle kümmert sich
heut nicht um die „Bauernbirn", weil sein
gut altbayerisches Herz treu an Sitte und
Brauch hängt.
Und wenn die Burschen ihr Pulver ver-
schossen haben, dann ziehen sie zum Wirt
und fordern die Hochzeitssuppe „auf des
Herrn Hochzeiters seine Rechnung": geschnit-
tene Nudeln in der Fleischbrühe und Brat-
würste und ein „Schweinernes" mit Kraut
und natürlich auch einen guten Schluck Bier.
Die Gesellschaft, die sich hier vor der Trauung
gütlich tut, nennt der Anzinger die „Suppen-
lalli", also junge Burschen, die nach den