352 lSLELEEH Prof. vr. Koblanck: Uber Radium und Mesothorium
nur die lebenden Organismen haben ihre
Entwicklungsgeschichte, auch die scheinbar
leblose Materie vollendet „nach ewigen, eh'r-
nen, großen Gesetzen" ihre Kreise.
Die Bedeutung der Entdeckung der ohne
erkennbaren äußeren Grund aus eigener
Kraft strahlenden Materie ist eine gewaltige.
Hahn nennt den stufenförmigen Abbau oder
Zerfall chemischer Elemente eine der größ-
ten, vielleicht die größte Errungenschaft der
radioaktiven Forschung. Die Umwälzung in
der Chemie und in der Physik zu skizzieren
steht mir jetzoch nicht zu; ich beschränke mich
darauf, kurz zu erörtern, welche Bedeutung
die entdeckte neue Energiequelle für ein wich-
tiges Gebiet der Medizin, nämlich für die
Krebsbehandlung, hat.
Zunächst seien zwei allgemeine Erfah-
rungssätze erwähnt, die aus dem Studium
der Wirkungen der strahlenden Materie auf
die Bakterien, niederen Pilze, Pflanzen und
höheren Organismen gewonnen sind: kurz
dauernde Einwirkungen kleiner Mengen brin-
gen einen Reizzustand, eine Steigerung der
Funktion, ein schnelleres Wachstum hervor,
große und lange wirkende Dosen führen da-
gegen zu regressiven Veränderungen, zum
Absterben und Tod. Und: je jünger die
Zellen und die Gewebe sind, um so intensiver
und um so schneller erfolgt die Beeinflussung;
schnell wachsende Geschwulstzellen und leicht
Vergängliche Keimzellen werden daher am
ehesten von ihnen angegriffen und zerstört.
Diese Beobachtungen sind denjenigen durch-
aus ähnlich, die bei der experimentellen
Forschung über den Einfluß des Sonnen-
lichtes gemacht sind. Wir wissen seit langer
Zeit, daß im Sonnenlicht gezüchtete niedere
Tiere die im Dunkeln aufgezogenen in ihrer
ganzen Entwicklung bei weitem übertreffen
und daß die Überhitzung mit Sonnenlicht
schwere Schädigungen herbeiführt. Die Son-
nenstrahlen werden daher schon seit vielen
Jahren unbewußt und jetzt immer mehr und
mehr planmäßig zu Heilwirkungen verschie-
denster Art angewendet, hauptsächlich im
Hochgebirge, wo uns die Sonne reiner und
klarer leuchtet als im Tiefland.
Die strahlende Materie in Gestalt des Ra-
diums und Mesothoriums ist bequemer zu
studieren; ihre in einer kleinen Kapsel ein-
geschlossene Kraft steht uns jederzeit, auch
bei Regen und Nebel, in dicker, raucherfüll-
ter Atmosphäre, zur Verfügung.
Für die Anwendung der radioaktiven
Substanzen in der Medizin ist die nähere
Kenntnis ihrer physikalischen Kräfte unbe-
dingte Voraussetzung. Hier sei nur einiges
erwähnt: Die von einer radioaktiven Substanz
ausgehenden Strahlen bilden keine Einheit,
sondern lassen sich in drei verschiedene Grup-
pen zerlegen. Je nach ihrer Geschwindigkeit,
ihrem Durchdringungsvermögen, ihrer mag-
netischen Ablenkbarkeit unterscheidet man
und /-Strahlen.
Die «-Strahlen bilden etwa 90o/o der von
der Substanz ausgehenden Strahlen; sie haben
eine große Geschwindigkeit (etwa 20000 Kilo-
meter in der Sekunde), sie sind es, die die
Luft ionisieren, ihre Masse ist relativ groß,
sie treffen daher leicht auf Hindernisse und
Widerstand, schon die Luft können sie nur eine
kurze Strecke durchdringen, und dünnes Mate-
rial, Papier, Glas usw. absorbiert sie vollkom-
men. Die fast mit der ungeheuren Geschwin-
digkeit der Lichtstrahlen vom Radium aus-
gehenden /Z-Strahlen haben eine viel ge-
ringere Dichtigkeit als die « Strahlen; in-
folgedessen durcheilen sie nicht nur die Luft
auf große Strecken, sondern durchdringen
auch dickere Körper, wie starkes Papier, dün-
nes Holz oder dünne Blechplatten. Dagegen
werden sie von dichterem Metall (Gold,
Platin oder auch dickem Blei) absorbiert.
Die Menge der /-Strahlen beträgt in dem
Strahlenbündel nur etwa ein Prozent. Trotz
ihrer geringen Anzahl stehen sie jetzt im
Vordergründe des Interesses; sie besitzen
nämlich ein ungemein starkes Durchdringungs-
vermögen, sie gehen durch drei Millimeter
dickes Blei, einen Millimeter dickes Alumi-
nium oder Gold oder Platin ungehindert
hindurch. Während die «- und /Z-Strahlen
korpuskulärer Natur sind, stellen die /-Strah-
len ebenso wie die Lichtstrahlen eine Wellen-
bewegung dar. —
Die Wirkungen auf die lebende Substanz
sind von verschiedenen Faktoren abhängig:
Zunächst sind die einzelnen Gewebe mehr
oder weniger für die Strahlen empfänglich.
Sodann rufen die drei genannten Strahlen-
arten verschiedene Wirkungen hervor. Wei-
ter sind von großer Bedeutung die Sekundär-
strahlen: jeder von den Strahlen getroffene
Körper sendet nämlich wiederum Strahlen
aus, und zwar sind diese Strahlen für jede
Substanz verschieden. Umhüllen wir von
zwei gleichen Radiumkapseln die eine mit
Blei, die andere mit Aluminium, so läßt sich
leicht nachweisen, daß die sekundären, vom
Blei ausgehenden Strahlen andere sind als
die sekundären, vom Aluminium ausgehen-
den. — Und schließlich kommt zur Beurtei-
lung der biologischen Wirkungen der radio-
aktiven Substanzen noch ein Moment: wenn
wir auch den Endeffekt der Strahlen be-
obachten können, so wissen wir damit leider
noch nicht, wie dieser entsteht. Der Annahme,
daß es sich um eine direkte Beeinflussung des
Gewebes handele, steht die wohlbegründete
Hypothese gegenüber, daß die Wirkung eine
indirekte sei, und zwar dadurch bedingt, daß
durch die Bestrahlung im Gewebe ein Stoff
entstehe oder ausgelöst werde, der nun die
Körperzellen reize oder schädige.
Die angedeuteten Schwierigkeiten erklären
wohl genügend, warum trotz eifriger Arbeit
die Strahlenbehandlung durchaus noch nicht
völlig geklärt ist.
Die folgende Betrachtung über die Hei-
lung des Krebses muß daher vorsichtig auf-
nommen werden.
Die ersten Versuche, bösartige Geschwülste
mit radioaktiven Substanzen zu heilen, wur-
nur die lebenden Organismen haben ihre
Entwicklungsgeschichte, auch die scheinbar
leblose Materie vollendet „nach ewigen, eh'r-
nen, großen Gesetzen" ihre Kreise.
Die Bedeutung der Entdeckung der ohne
erkennbaren äußeren Grund aus eigener
Kraft strahlenden Materie ist eine gewaltige.
Hahn nennt den stufenförmigen Abbau oder
Zerfall chemischer Elemente eine der größ-
ten, vielleicht die größte Errungenschaft der
radioaktiven Forschung. Die Umwälzung in
der Chemie und in der Physik zu skizzieren
steht mir jetzoch nicht zu; ich beschränke mich
darauf, kurz zu erörtern, welche Bedeutung
die entdeckte neue Energiequelle für ein wich-
tiges Gebiet der Medizin, nämlich für die
Krebsbehandlung, hat.
Zunächst seien zwei allgemeine Erfah-
rungssätze erwähnt, die aus dem Studium
der Wirkungen der strahlenden Materie auf
die Bakterien, niederen Pilze, Pflanzen und
höheren Organismen gewonnen sind: kurz
dauernde Einwirkungen kleiner Mengen brin-
gen einen Reizzustand, eine Steigerung der
Funktion, ein schnelleres Wachstum hervor,
große und lange wirkende Dosen führen da-
gegen zu regressiven Veränderungen, zum
Absterben und Tod. Und: je jünger die
Zellen und die Gewebe sind, um so intensiver
und um so schneller erfolgt die Beeinflussung;
schnell wachsende Geschwulstzellen und leicht
Vergängliche Keimzellen werden daher am
ehesten von ihnen angegriffen und zerstört.
Diese Beobachtungen sind denjenigen durch-
aus ähnlich, die bei der experimentellen
Forschung über den Einfluß des Sonnen-
lichtes gemacht sind. Wir wissen seit langer
Zeit, daß im Sonnenlicht gezüchtete niedere
Tiere die im Dunkeln aufgezogenen in ihrer
ganzen Entwicklung bei weitem übertreffen
und daß die Überhitzung mit Sonnenlicht
schwere Schädigungen herbeiführt. Die Son-
nenstrahlen werden daher schon seit vielen
Jahren unbewußt und jetzt immer mehr und
mehr planmäßig zu Heilwirkungen verschie-
denster Art angewendet, hauptsächlich im
Hochgebirge, wo uns die Sonne reiner und
klarer leuchtet als im Tiefland.
Die strahlende Materie in Gestalt des Ra-
diums und Mesothoriums ist bequemer zu
studieren; ihre in einer kleinen Kapsel ein-
geschlossene Kraft steht uns jederzeit, auch
bei Regen und Nebel, in dicker, raucherfüll-
ter Atmosphäre, zur Verfügung.
Für die Anwendung der radioaktiven
Substanzen in der Medizin ist die nähere
Kenntnis ihrer physikalischen Kräfte unbe-
dingte Voraussetzung. Hier sei nur einiges
erwähnt: Die von einer radioaktiven Substanz
ausgehenden Strahlen bilden keine Einheit,
sondern lassen sich in drei verschiedene Grup-
pen zerlegen. Je nach ihrer Geschwindigkeit,
ihrem Durchdringungsvermögen, ihrer mag-
netischen Ablenkbarkeit unterscheidet man
und /-Strahlen.
Die «-Strahlen bilden etwa 90o/o der von
der Substanz ausgehenden Strahlen; sie haben
eine große Geschwindigkeit (etwa 20000 Kilo-
meter in der Sekunde), sie sind es, die die
Luft ionisieren, ihre Masse ist relativ groß,
sie treffen daher leicht auf Hindernisse und
Widerstand, schon die Luft können sie nur eine
kurze Strecke durchdringen, und dünnes Mate-
rial, Papier, Glas usw. absorbiert sie vollkom-
men. Die fast mit der ungeheuren Geschwin-
digkeit der Lichtstrahlen vom Radium aus-
gehenden /Z-Strahlen haben eine viel ge-
ringere Dichtigkeit als die « Strahlen; in-
folgedessen durcheilen sie nicht nur die Luft
auf große Strecken, sondern durchdringen
auch dickere Körper, wie starkes Papier, dün-
nes Holz oder dünne Blechplatten. Dagegen
werden sie von dichterem Metall (Gold,
Platin oder auch dickem Blei) absorbiert.
Die Menge der /-Strahlen beträgt in dem
Strahlenbündel nur etwa ein Prozent. Trotz
ihrer geringen Anzahl stehen sie jetzt im
Vordergründe des Interesses; sie besitzen
nämlich ein ungemein starkes Durchdringungs-
vermögen, sie gehen durch drei Millimeter
dickes Blei, einen Millimeter dickes Alumi-
nium oder Gold oder Platin ungehindert
hindurch. Während die «- und /Z-Strahlen
korpuskulärer Natur sind, stellen die /-Strah-
len ebenso wie die Lichtstrahlen eine Wellen-
bewegung dar. —
Die Wirkungen auf die lebende Substanz
sind von verschiedenen Faktoren abhängig:
Zunächst sind die einzelnen Gewebe mehr
oder weniger für die Strahlen empfänglich.
Sodann rufen die drei genannten Strahlen-
arten verschiedene Wirkungen hervor. Wei-
ter sind von großer Bedeutung die Sekundär-
strahlen: jeder von den Strahlen getroffene
Körper sendet nämlich wiederum Strahlen
aus, und zwar sind diese Strahlen für jede
Substanz verschieden. Umhüllen wir von
zwei gleichen Radiumkapseln die eine mit
Blei, die andere mit Aluminium, so läßt sich
leicht nachweisen, daß die sekundären, vom
Blei ausgehenden Strahlen andere sind als
die sekundären, vom Aluminium ausgehen-
den. — Und schließlich kommt zur Beurtei-
lung der biologischen Wirkungen der radio-
aktiven Substanzen noch ein Moment: wenn
wir auch den Endeffekt der Strahlen be-
obachten können, so wissen wir damit leider
noch nicht, wie dieser entsteht. Der Annahme,
daß es sich um eine direkte Beeinflussung des
Gewebes handele, steht die wohlbegründete
Hypothese gegenüber, daß die Wirkung eine
indirekte sei, und zwar dadurch bedingt, daß
durch die Bestrahlung im Gewebe ein Stoff
entstehe oder ausgelöst werde, der nun die
Körperzellen reize oder schädige.
Die angedeuteten Schwierigkeiten erklären
wohl genügend, warum trotz eifriger Arbeit
die Strahlenbehandlung durchaus noch nicht
völlig geklärt ist.
Die folgende Betrachtung über die Hei-
lung des Krebses muß daher vorsichtig auf-
nommen werden.
Die ersten Versuche, bösartige Geschwülste
mit radioaktiven Substanzen zu heilen, wur-