Radium-Perpetuum mobile von
H. Greinacher (1911)
406 W. v. Molo: Das Perpetuum mobile — die Tragikomödie der Technik
während der schräg aufsteigende Teil von den
Gewichten ausgepreßt würde, wodurch die
Gegenbelastung vermieden werden sollte. Doch
die Natur läßt sich einmal ihr Gleichgewichts-
gesetz nicht stören; sie gab dem Gewichtsband
den Befehl, das Schwammband um ebenso-
viel zu belasten, als es Wasser ausdrücke —
und Sir Congreve saß erbost im Winkel der
schmollenden Perpetuum mobile-Märtyrer.
Natürlich hat man auch schon versucht,
ununterbrochen fahrende Lokomotiven, Wagen
und Luftschiffe zu erfinden. Zumeist ist der
Gedanke der, eine in sich geschlossene Ma-
schinenanordnung zu
bauen, die sich z. B.
selbst den elektrischen
Strom erzeugt, der
arbeitend auch seine
Erzeugungsmaschine
antreibt. Oder man
sucht eine Art Uhrwerk
zu schaffen, das außer
Arbeit zu leisten sich
auch selbst aufziehen
soll. Kein Zweifel, die
Perpetuum mobile-
Schöpfer haben an
Geist verloren. Früher
beschäftigten sich auch
erste Köpfe mit dem
noch nicht allgemein
geklärten Problem,
heute überhaupt bloß
Laien, die unfähig sind,
technisch zu denken,
oderSchiffbrüchige des
nervenzerstörenden
Existenzkampfes,Tech-
niker, deren armes ge-
hetztes Denken in Un-
ordnung geriet. Früher
hatte der Gelehrte das
Wort, um die armseli-
gen Glücksucher auf den
rechten Weg zu weisen,
heute bloß der Psychia-
ter und Irrenarzt. Ich
habe einen Menschen
gekannt, der schnitt
wochenlang ausGold-
und Silberpapier Scheiben aus, die er, nach
Art der Voltaschen Säule, mit der Papier-
seite zusammenklebte. Die Scheiben hatten
sicherlich fast einen Meter im Durchmesser. Mit
seinen letzten Geldmitteln ließ er sich eine un-
geheure Glasröhre kommen, in die er die
Scheiben schichtete. Er hatte von der —
eingangs erwähnten — Zambonischen Säule
gehört und glaubte dis Erscheinung des zar-
ten Spielzeuges durch Vergrößerung der Di-
mensionen in kräftige nutzbare Arbeitsbewe-
gungen einer Maschine umwandeln zu können.
Die „Maschine" hat natürlich nie Arbeit zu
leisten vermocht, aber der Erfinder hat, ebenso
natürlich, nie eingesehen, daß er auf unrech-
tem Wege war.
Auch die neuesten wissenschaftlichen Er-
kenntnisse ändern begreiflicherweise daran
nichts. Unsere letzte Abbildung zeigt ein so-
genanntes „Radium Perpetuum mobile" von
Greinacher, darin bestehend, daß durch
Radiumstrahlung wider das Messingplätt-
chen k ein leichtes System, das in der Nadel
N endet, geladen und dadurch in Drehung
versetzt wird. Bei der Drehung entladet sich
das System durch Anschlag von N an dem
Platindraht 0 und kehrt in die Ruhelage
zurück, um dort, aber-
mals geladen, das
gleiche Spiel fortzu-
setzen — bis in die
Ewigkeit? Nein: bis
die, allerdings sehr
lange andauernde
Energieabgabe des
Radiums zu Ende ist.
Das Werk verleug-
net den Meister nicht,
sagte ich eingangs; jede
Maschine istMenschen-
werk; das wächst nicht
in die Ewigkeit und
ist doch schön zu tun.
Wie der Mensch un-
ablässig an sich ar-
beiten und wirken
muß, um nicht stille-
zustehen, so muß er
auch seinem mechani-
schen Ebenbilde, der
Maschine, stets neue
Kraft geben, soll sie sich
regen und schaffen im
Wirrwarr der streben-
den Dinge. Der Wahn
des tatsächlichen Per-
petuum mobile ist vor-
bei; als Bezeichnung
lang arbeitender Ma-
schinen erhält sich der
Name, der dereinst für
ewig arbeitende Ma-
schinen geschaffen wur-
de! — die geistigen
Verwerflinge, die noch das Suchen der
Ewigkeit treiben, zählen nicht mit — doch
tausend andre Irrlehren sind in uns und
um uns. Sie geben uns neue Kraft im
Besiegen, im rastlosen Weiter, sie reifen im
Kampfe mit unsrer lauteren Seele die
Erkenntnis. Dank müssen wir ihnen sa-
gen, denn nur Streit und Bewegung sind
Leben.
Auch der Kampf wider das Perpetuum
mobile schenkte uns Kraft und schnelleres
Auswirken des Menschengeistes; glücklich die
Menschen, die wissen, daß sie in irrender
Zeit leben, sie streben weiter!