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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
DOI Artikel:
Hart, Hans: Wunderkinder [3]: Roman : (Fortsetzung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0494

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408 Hans Hart:

Gelang eine Stelle, frohlockte sein Stolz,
zerriß eine Harmonie, sank der Bogen in
Zorn und Scham. Es war eine Nacht voll
Süßigkeit und Qual, wie damals nach
Hans Geßners Konzert, als im Kerzenlicht
die krausen Noten der Brahmspartitur
vor Karl Marias Augen tanzten.
Viertelstundenlang lag er in bleischwerer
Müdigkeit auf seinem Bett, dann trieb es
ihn wieder auf, wie einen, der im Morgen-
grauen aufs Schafott muß. Karl Maria
umklammerte seine Geige, als wäre sie
das Sprungbrett zum Glück. Knarrend
ächzte das Holz unter seinem Griff. Menn
ich dich zum zweitenmal zerschlage — <
Doch er sprach den Satz nicht zu Ende.
Wieder erklang das harte, starre Wort:
,Du mußt!<
Grell lachte er auf. Dann horchte er
plötzlich ganz still. Ein wunderbares Rau-
schen rann durch sein Blut. Er schloß die
Augen und ließ den Bogen die Saiten ent-
lang laufen, schnell und leicht, in freier
Phantasie. Karl Maria vergaß, daß es
morgen sein Schicksal galt, heute war er
König in seinem Reich. Wie ein Rausch
kam es über ihn. Voll und kühn sprang
sein Ton durch das schwarze Schweigen.
Stück um Stück nahm er sein Programm
vor, spielte leise und verschleiert, nicht aus
Rücksicht auf den Schlummer seiner Lieben,
sondern aus Scham, sein heimliches Glück
laut werden zu lassen. In dieser Nacht
war Karl Maria Tredenius ein großer
Geiger.
Dann kam der Morgen. Todmüde, mit
blassem Gesicht und trocknen Lippen stand
Karl Maria im grauen Dämmer. Betäubt
strich er über die Stirn. Alles in ihm war
leer und tot. Er riß die Tür auf. Im
fahlen Dämmerlicht saß da eine Gestalt,
auf einem Schemel eingeschlummert. Das
Haupt war nach vorne gesunken und lag
licht und schön auf der Brust.
„Gundl!" schrie er und rüttelte die
Schläferin wach.
„Ach, Karl Maria, jetzt bin ich doch ein-
geschlafen. Mußt es mir verzeihen," sagte
sie schlicht.
Er fand kein Wort der Dankbarkeit.
Verwirrt starrte er das blonde Mädel an,
das wieder für ihn gewacht hatte, wie ein
treuer Hausgeist.
„Darfst den andern nichts sagen," mur-

melte sie hilflos und sah ihn scheu von der
Seite an.
Er stampfte mit dem Fuß. „Ich mag
dir nicht alles danken!"
„Das brauchst du auch gar nicht. Nur
glücklich werden sollst du."
R R R
Das erste Lied der Miriam Italiener
war zu Ende. Frau Charlotte zog erleich-
tert das Taschentuch, was sie bis jetzt für
unschicklich gehalten hatte, und der starke
Gideon riß Mund und Augen auf, als be-
greife er nicht, daß dieser jubelnde Sing-
vogel seine Miriam sei.
Einen Augenblick blieb es ganz still.
Dann klatschten die Jungen, denen die
süße, reiche Stimme zunächst ans Herz ge-
griffen, und das bedächtige Alter wandelte
ihnen gar schnell und freudig nach. Blaß
und starr stand die Miriam, ihre Hände
zitterten leise, den Kopf hielt sie vorgeneigt,
als müßte sie diesen Beifall austrinken bis
zum letzten Tropfen.
Jetzt lächelte Franziska Ermattinger,
die in der ersten Reihe saß; der strenge
Generalintendant Graf Rothenwolff stand
auf und klatschte laut und gemessen in die
perlgrau behandschuhten Hände. Dann
nickte er der Miriam lustig zu. Nur Lewis
kümmerte sich nicht viel um die Debütan-
tin. Er hatte einen kleinen, etwas salopp
aussehenden fetten Herrn untergefaßt, zog
ihn im Geschwindmarsch den Mittelgang
auf und ab und sprach heftig auf ihn ein.
Im Künstlerzimmer warf sich Miriam
der Ermattinger an die Brust. „Jetzt
möchte ich sterben!" Schnell aber riß sie
sich zusammen. „Habe ich sie auch alle ge-
packt?" fragte sie mit eingekniffenen Augen
und mit trotzigem Mund.
Ein Geigenton schnitt ihr das Wort ab.
Miriam schlug zwei Finger durch die Luft.
„Jetzt nimmt mir der Bub alle Wirkung!"
Aber dann schwieg sie und horchte. Reich
und schön setzte die Sonate des alten Co-
relli ein. Das Klavier verlor sich hier und
da auf falschen Seitenpfaden. Milde und
klug wies die Geige den Weg zurück. Da
weinte Miriam vor Zorn. „Er kann mehr
als ich." Und gleich darauf faltete sie wie-
der die Hände für Karl Marias Glück.
Als das Adagio breit und feierlich be-
gann, litt es Miriam nicht länger. Leise
glitt sie auf Umwegen in den Saal zurück,
 
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