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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 3 (November 1913)
DOI Artikel:
Hart, Hans: Wunderkinder [3]: Roman : (Fortsetzung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0529

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Wunderkinder 435

nenfalls mit Rat und Tat zu helfen, auch
die Miriam zu überwachen, da die Ge-
schäftsverbindung zu beiderseitigem Nutz
und Frommen nun doch einmal angeknüpft
war. Die Trir aber lachte dem dicken Rot-
kopf spöttisch nach und bedauerte in leiser
Schadenfreude den leichtsinnigen Nisi, der
mit tausend Segeln in jenen Hafen einfuhr,
aus dem Karl Maria Tredenius soeben
mit knapper Not entronnen war.
Plötzlich schwand ihre Fröhlichkeit, und
sie fand, daß sie im Grunde sehr einsam in
der Welt stand und nur ihren Trotz hatte,
wenn ihr ein Weh geschah. So begab sie
sich auf unruhige Wanderschaft, warf ver-
borgene Türen auf und zu und forschte in
allen Winkeln, wie man auf einen Weg
zurückblickt, den man blindlings gegangen
ist und dessen Steine und Dornen man erst
am Ende erkennt.
Aus Laune, fast im Spiel, hatte sie den
hübschen Dionys geheiratet, vielleicht auch
aus Dankbarkeit für Onkel Achaz' Güte,
der mit stillem Lächeln um ihre Hand
für seinen wetterwendischen Buben bat.
,Allein halte ich den Tunichtgut nicht in
Zucht/ Und nun schlich das erste leise
Grauen in das lustige Spiel ihrer Ehe.
Gerade heute.
Da saß sie mit der teuer zurückgekauften
Geige und wußte nichts Rechtes damit an-
zufangen, in einer ganz unerklärlichen
Scheu. Die frische Unbefangenheit, die sie
bisher mit dem Geigerjungen nur lustig
oder auch melancholisch spielen ließ, mußte
Beatrice im Park von Weimar verloren
haben. Ihre altersgraue Weisheit war
doch nur ein Maskenkleid, das sie aus
Laune über ihr buntes Wesen geworfen
hatte. Wie lichtscheue Zärtlichkeit hüllte
es sie ein.
Trotzig und scheu nickte Frau Beatrice
zu dieser Erkenntnis. Durch ihre Muskeln
lief ein Prickeln und Kribbeln. Fast wie
heimliche Sehnsucht. Und gerade jetzt sollte
sie Karl Maria die wiedergewonnene Geige
in den Arm legen und den Wanderseligen
mit klugen Worten an ruhige Ufer geleiten,
daß seine Kraft zusammenwüchse und stoß-
stark würde. Mit einem zornigen Lachen
schloß sie die Augen. Aber da wuchs Bild
nach Bild vor ihr auf, rundete sich, bekam
Lichter und Schatten, bis alles grell und
haarscharf ihre Sinne quälte. Und sie hörte

ein leises Knistern und Knacken, als ob ein
feines Glas zerspränge.
Graf Dionys huschte oft auf dunklen
Wegen, aber er fand sich stets mit gutem
Anstand zurück und hüllte dann seine Frau
in einen goldenen Nebel von Liebe und
Zärtlichkeit, bis ihre Augen alle Klarheit
verloren. Dann fiel auf einmal der win-
zige Achaz dazwischen; bei der Taufe schau-
ten Mama und Papa einander sehr be-
lustigt an und schüttelten die Köpfe, als
könnten sie nicht begreifen, daß etwas so
Ernstes wie dieser krebsrote Knirps in ihr
Vergnügen plumpsen konnte. Aber was
sonst die Menschen bindet, trennte sie. Graf
Dionys spielte einige Zeit das neue Spiel,
bis sein weicher Sinn in Langeweile ver-
sank und wieder sein Flackerleben in Klub
und Boudoir trieb.
Daheim zog Graf Achaz die Brauen
kraus, brachte seine Geige herbei und zwang
seine Schwiegertochter, ihn auf dem Kla-
vier zu begleiten. „Du spielst dir die
schwarzen Mucken fort," tröstete er, wenn
Beatrice müde weiterklapperte, weil diese
verschnörkelten Stücke der italienischen
Schule ihr gar nichts zu sagen hatten. Ge-
horsam humpelte sie weiter und spielte un-
verdrossen Madrigale und Kanzonetten,
weil dann ein trauliches Plauderstündchen
winkte und Großvater Achaz' irdische Weis-
heit klarer und schöner war als seine Gei-
genkunst. Zum Schlüsse ging es regelmäßig
Hand in Hand zum Bettlein, wo Achaz II.
mit geballten Fäusten auf dem Rücken lag
und heftig schnarchte. Jung und alt blick-
ten sich wohlgefällig an und schieden mit
einem vergnügten Lächeln.
In einer solchen Dämmerstunde kam der
alte Graf auch einmal auf den Geiger
Tredenius, als er sich mit einem Stück von
Corelli plagte, das Karl Maria in seinem
verunglückten Konzert als erste Nummer
tadellos gebracht hatte. „Schade um den
Jungen," knurrte Herr Achaz und versteckte
seine zornigen Augen unter dem Buschwerk
der Brauen.
Wie eine warme Erinnerung ergriff es da
die Trir, daß sie ihr Geheimnis vergaß und
von dem Geschenk erzählte, das sie Karl
Maria heimlich gemacht hatte.
Graf Achaz schwieg eine ganze Weile,
dann blickte er die junge Frau scharf an,
nagte am Schnurrbart und legte seine Geige
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