Karl Eugen Schmidt:
zweiten Rang als Kunststadt verwiesen. In
Paris werden heute die meisten Kunstwerke
geschaffen, hier sitzen die bedeutendsten Kunst-
händler, hier gibt es mehr Kunstschulen als
irgendwo auf der Welt, hier wohnen doppelt
oder dreimal mehr Künstler als in irgend-
einer andern Stadt, hierher wenden die mo-
dernen Kunstjünger, Kunstkritiker, Liebhaber,
Sammler, Kenner usw. ihre Augen und ihre
Schritte. Nach Rom macht man wohl auch
noch eine Ferienreise, wer aber wirklich auf
dem laufenden bleiben will, muß in jedem
Frühjahr die Seinestadt besuchen und sehen,
was die Salons zu zeigen haben.
Also mußte sich in Paris alles, was auf
die bildende Kunst Bezug hat, vielfältiger
und zahlreicher ausbilden als in anderen
Städten, und auch die Kunstschule oder
Akademie durfte keine Ausnahme machen,
obgleich von jeher die modernen Stürmer
und Dränger von Akademien und Kunst-
schulen nichts wissen wollten.
Was haben die armen Kunstakademien
alles hören müssen! Kaum ein Künstler von
Bedeutung, der nicht auf sie gescholten hätte,
— bis er selbst Akademieprofessor wurde und
sich nun seinerseits von den jüngeren Zeit-
genossen mußte schelten lassen. Am herr-
lichsten ist der wackere Tiroler Joseph Anton
Koch gegen sie losgezogen, der in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Art
von Doyen der römischen Kunstlerschaft deut-
scher Nation war. Dieser wackere Mann und
tüchtige Meister schrieb vor 80 oder 90 Jahren
ein Büchlein, das ich schon längst neu aufgelegt
hätte, wenn ich Verleger wäre. Denn darin
stehen die erfreulichsten Dinge, und sie werden
in der ergötzlichsten Art vorgebracht. Auf
die Kunstschulen ist Koch in dieser seiner
„Rumfordischen Suppe"ganz besonders schlecht
zu sprechen. Mehrere Male kommt er auf
sie zurück, und jedesmal mit herzerfreuendem
Humor. Einmal sagt er: „Ein ganz un-
nützes Bestreben, Kunstsamen auszustreuen,
und ohne alle Ergebnis und Ernte ist das
der Kunstakademien und unzählbaren Kunst-
schulen unserer Zeit. Diese publiken Toten-
häuser des Kunstgenius sind die Kunsthecke-
reien in größerem Umfang, mit Taugenichtsen
und Sch'lachtopfern der Armut und Schoflität
die Welt zu furnieren." Dann wieder heißt
es: „Gewöhnlich sind diefe privilegierten und
bezahlten Faulenzer — die akademischen Pro-
fessoren — nicht so wohl Künstler als Kunst-
behörden, die ärgsten Bestien unter Gottes
Sonne." Und klagend ruft er aus: „Wie aus
faulem Käse eine Unzahl Würmer, so kriecht
aus diesen Kunstakademien ein unzählbarer
Schwarm Kunstvolks, gewöhnlich so jämmer-
licher Art, daß man sich schämen muß, mit
solchen einen Namen zu führen." Und end-
lich stellt er fest: „Wahrhaftig, von allen,
die ich kenne, die sich mit Recht Kinder der
Musen nennen dürfen, hat keiner sein Salz
auf den Akademien geholt, alles dort Er-
lernte muß dem Fluß Lethe anheimgestellt
werden, weil es unbrauchbar ist."
Pariser Kunstschulen 455
Der grobe Tiroler war aber nicht der
einzige, der so energisch gegen die Kunst-
schulen zu Felde zog. Der etwas ältere
Carstens hatte schon im Jahre 1795 ge-
schrieben: „Die Frage, nicht welchen Nutzen,
sondern welchen Schaden in allen Ländern
die Kunstakademien anrichten, verdiente von
einsichtsvollen Männern eine genaue Unter-
suchung. Wann wird doch diese Tyrannei,
durch die so viele Menschen verdorbene Bürger
im Staate werden, die das Talent schon in
der Wiege verkrüppelt, die dem Geschmack
nach Belieben eine Nase ansetzt, wann wird
dieser Despotismus einmal aufhören? Ich
werde dieses nicht erleben!"
Ich könnte noch seitenlang abfällige und
verdammende Urteile der Künstler über die
Kunstschulen anführen, ich könnte erwähnen,
daß sogar der sanfte Overbeck, das Haupt
der angelischen Nazarener, im Jahre 1814
im Namen der deutschen Künstlerschaft Roms
eine Petition an den Wiener Kongreß richtete,
worin er die deutschen Fürsten aufforderte,
die sämtlichen Kunstschulen eingehen zu lassen
und das so gesparte Geld auf den Ankauf
von Kunstwerken zu verwenden, daß Cornelius
die Akademie eine Hydra genannt hat, „so
bekämpft werden muß, ehe ein Anfang, ein
neues Fundament zu einer bessern Kunst
kann gelegt werden", daß Anselm Feuerbach
in seinem „Vermächtnis" meint, von den
Akademien sei nichts Erfreuliches zu berichten,
denn sie seien Versorgungshäuser für Pro-
fessoren, die verhungern müßten, wenn sie
von ihrer Kunst leben sollten, aber das all-
zulange Verweilen dabei würde den Leser
nur ermüden. Außerdem könnte man da-
neben zwar nicht ganz so viele und nicht
ganz so gewichtige, aber doch immerhin zahl-
reiche und nicht leicht zu nehmende Urteile an-
derer Künstler — und in manchen Fällen so-
gar der nämlichen Leute, die sich unter an-
deren Umständen tadelnd ausgesprochen
hatten, — anführen, die keineswegs den Kunst-
schulen die Existenzberechtigung absprechen,
sondern vielmehr von ihrer Nützlichkeit über-
zeugt sind, wenn sie auch die eine oder andere
Reform empfehlen.
Es ist das eben eine offene Frage, die
man nach Belieben und Laune entscheiden
kann; für beide Seiten lassen sich triftige
Gründe anführen, und vermutlich wird man
gut tun, sich in dieser wie in anderen Streit-
fragen auf den weisen Quinapalus zu ver-
lassen, von dessen Taten und Schriften ich
allerdings weiter nichts weiß, als was irgend-
wo bei Shakespeare — wenn ich nicht irre, in
„Was ihr wollt" — von ihm berichtet wird.
Der weise Quinapalus sagte nämlich: „Das,
was ist, ist, maßen es ist." Die Kunstschulen
sind, eben weil sie sind, und damit haben
sie auch ihre Existenzberechtigung erwiesen.
Diese Berechtigung läßt sich auch anders
noch nachweisen. In der sogenannten guten
alten Zeit gab es keine Kunstschulen; damals
war der Maler oder Bildhauer ein Hand-
werker wie der Schlosser und Schreiner, und
zweiten Rang als Kunststadt verwiesen. In
Paris werden heute die meisten Kunstwerke
geschaffen, hier sitzen die bedeutendsten Kunst-
händler, hier gibt es mehr Kunstschulen als
irgendwo auf der Welt, hier wohnen doppelt
oder dreimal mehr Künstler als in irgend-
einer andern Stadt, hierher wenden die mo-
dernen Kunstjünger, Kunstkritiker, Liebhaber,
Sammler, Kenner usw. ihre Augen und ihre
Schritte. Nach Rom macht man wohl auch
noch eine Ferienreise, wer aber wirklich auf
dem laufenden bleiben will, muß in jedem
Frühjahr die Seinestadt besuchen und sehen,
was die Salons zu zeigen haben.
Also mußte sich in Paris alles, was auf
die bildende Kunst Bezug hat, vielfältiger
und zahlreicher ausbilden als in anderen
Städten, und auch die Kunstschule oder
Akademie durfte keine Ausnahme machen,
obgleich von jeher die modernen Stürmer
und Dränger von Akademien und Kunst-
schulen nichts wissen wollten.
Was haben die armen Kunstakademien
alles hören müssen! Kaum ein Künstler von
Bedeutung, der nicht auf sie gescholten hätte,
— bis er selbst Akademieprofessor wurde und
sich nun seinerseits von den jüngeren Zeit-
genossen mußte schelten lassen. Am herr-
lichsten ist der wackere Tiroler Joseph Anton
Koch gegen sie losgezogen, der in den ersten
Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine Art
von Doyen der römischen Kunstlerschaft deut-
scher Nation war. Dieser wackere Mann und
tüchtige Meister schrieb vor 80 oder 90 Jahren
ein Büchlein, das ich schon längst neu aufgelegt
hätte, wenn ich Verleger wäre. Denn darin
stehen die erfreulichsten Dinge, und sie werden
in der ergötzlichsten Art vorgebracht. Auf
die Kunstschulen ist Koch in dieser seiner
„Rumfordischen Suppe"ganz besonders schlecht
zu sprechen. Mehrere Male kommt er auf
sie zurück, und jedesmal mit herzerfreuendem
Humor. Einmal sagt er: „Ein ganz un-
nützes Bestreben, Kunstsamen auszustreuen,
und ohne alle Ergebnis und Ernte ist das
der Kunstakademien und unzählbaren Kunst-
schulen unserer Zeit. Diese publiken Toten-
häuser des Kunstgenius sind die Kunsthecke-
reien in größerem Umfang, mit Taugenichtsen
und Sch'lachtopfern der Armut und Schoflität
die Welt zu furnieren." Dann wieder heißt
es: „Gewöhnlich sind diefe privilegierten und
bezahlten Faulenzer — die akademischen Pro-
fessoren — nicht so wohl Künstler als Kunst-
behörden, die ärgsten Bestien unter Gottes
Sonne." Und klagend ruft er aus: „Wie aus
faulem Käse eine Unzahl Würmer, so kriecht
aus diesen Kunstakademien ein unzählbarer
Schwarm Kunstvolks, gewöhnlich so jämmer-
licher Art, daß man sich schämen muß, mit
solchen einen Namen zu führen." Und end-
lich stellt er fest: „Wahrhaftig, von allen,
die ich kenne, die sich mit Recht Kinder der
Musen nennen dürfen, hat keiner sein Salz
auf den Akademien geholt, alles dort Er-
lernte muß dem Fluß Lethe anheimgestellt
werden, weil es unbrauchbar ist."
Pariser Kunstschulen 455
Der grobe Tiroler war aber nicht der
einzige, der so energisch gegen die Kunst-
schulen zu Felde zog. Der etwas ältere
Carstens hatte schon im Jahre 1795 ge-
schrieben: „Die Frage, nicht welchen Nutzen,
sondern welchen Schaden in allen Ländern
die Kunstakademien anrichten, verdiente von
einsichtsvollen Männern eine genaue Unter-
suchung. Wann wird doch diese Tyrannei,
durch die so viele Menschen verdorbene Bürger
im Staate werden, die das Talent schon in
der Wiege verkrüppelt, die dem Geschmack
nach Belieben eine Nase ansetzt, wann wird
dieser Despotismus einmal aufhören? Ich
werde dieses nicht erleben!"
Ich könnte noch seitenlang abfällige und
verdammende Urteile der Künstler über die
Kunstschulen anführen, ich könnte erwähnen,
daß sogar der sanfte Overbeck, das Haupt
der angelischen Nazarener, im Jahre 1814
im Namen der deutschen Künstlerschaft Roms
eine Petition an den Wiener Kongreß richtete,
worin er die deutschen Fürsten aufforderte,
die sämtlichen Kunstschulen eingehen zu lassen
und das so gesparte Geld auf den Ankauf
von Kunstwerken zu verwenden, daß Cornelius
die Akademie eine Hydra genannt hat, „so
bekämpft werden muß, ehe ein Anfang, ein
neues Fundament zu einer bessern Kunst
kann gelegt werden", daß Anselm Feuerbach
in seinem „Vermächtnis" meint, von den
Akademien sei nichts Erfreuliches zu berichten,
denn sie seien Versorgungshäuser für Pro-
fessoren, die verhungern müßten, wenn sie
von ihrer Kunst leben sollten, aber das all-
zulange Verweilen dabei würde den Leser
nur ermüden. Außerdem könnte man da-
neben zwar nicht ganz so viele und nicht
ganz so gewichtige, aber doch immerhin zahl-
reiche und nicht leicht zu nehmende Urteile an-
derer Künstler — und in manchen Fällen so-
gar der nämlichen Leute, die sich unter an-
deren Umständen tadelnd ausgesprochen
hatten, — anführen, die keineswegs den Kunst-
schulen die Existenzberechtigung absprechen,
sondern vielmehr von ihrer Nützlichkeit über-
zeugt sind, wenn sie auch die eine oder andere
Reform empfehlen.
Es ist das eben eine offene Frage, die
man nach Belieben und Laune entscheiden
kann; für beide Seiten lassen sich triftige
Gründe anführen, und vermutlich wird man
gut tun, sich in dieser wie in anderen Streit-
fragen auf den weisen Quinapalus zu ver-
lassen, von dessen Taten und Schriften ich
allerdings weiter nichts weiß, als was irgend-
wo bei Shakespeare — wenn ich nicht irre, in
„Was ihr wollt" — von ihm berichtet wird.
Der weise Quinapalus sagte nämlich: „Das,
was ist, ist, maßen es ist." Die Kunstschulen
sind, eben weil sie sind, und damit haben
sie auch ihre Existenzberechtigung erwiesen.
Diese Berechtigung läßt sich auch anders
noch nachweisen. In der sogenannten guten
alten Zeit gab es keine Kunstschulen; damals
war der Maler oder Bildhauer ein Hand-
werker wie der Schlosser und Schreiner, und