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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

DOI Heft:
Heft 3 (November 1913)
DOI Artikel:
Schmidt, Karl Eugen: Pariser Kunstschulen
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0552

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458 Karl Eugen Schmidt: Pariser Kunstschulen

oder Bildhauer, der hier arbeitet, wenigstens
eine Woche lang die Akademie besucht und
eine und die nämliche Arbeit zu vollenden
beflissen ist, ändert sich in der abendlichen
Zeichenstunde Pose und Publikum unaufhör-
lich. Jede Viertelstunde nimmt das Modell
eine andere Stellung ein, so daß der Schüler
in den zwei Stunden, welche dieser Kursus
dauert, acht verschiedene Zeichnungen anfer-
tigen kann. Hier wechselt denn auch das zeich-
nende Publikum von Tag zu Tag: es wird
für jeden Abend ein besonderes Eintrittsgeld
erhoben, — ein sehr bescheidenes, nämlich
50 Centimes, — während die an den Mal-
und Modellierstunden Teilnehmenden für
einen ganzen Monat oder wenigstens für
eine Woche bezahlen müssen. Schon dadurch
wird das Publikum hier ansässiger. Der
Zeichenkursus ist auch der einzige, wobei das
männliche Geschlecht stark überwiegt, und
vielleicht könnte man daraus Schlüsse auf
den Unterschied zwischen dem männlichen
und dem weiblichen Charakter ziehen. Dieses
Croquiszeichnen muß sehr schnell vonstatten
gehen, Auge und Hand müssen sofort das
Richtige fassen und treffen, und eben um
diese Schnelligkeit und Sicherheit zu fördern
und zu üben, ist dieser Kursus eingeführt
worden. Das Zeichnen aber scheint über-

haupt nicht sehr Sache des weiblichen Ge-
schlechtes zu sein, viel mehr liegt ihm offenbar
das Malen, das Nebeneinandersetzen farbiger
Flecke, woraus ja natürlich auch wieder For-
men entstehen, also daß man das in gewissem
Sinne auch Zeichnen nennen kann, wobei es
aber doch nicht auf genaue Konturen und
bestimmte Linien abgesehen ist.
Ich weiß nicht, ob es andern Leuten geht
wie mir: vor den zweitausend Bildern im
Pariser Salon überfällt mich gelinde Melan-
cholie und zweifelndes Staunen; warum in
aller Welt bedecken so viele brave Leute gute
Leinwand mit guten Farben? Könnten sie
nicht etwas Nützlicheres tun? Und was mag
nur aus allen diesen Bildern werden?
Diese Stimmung plagt auch den Besucher
einer solchen Kunstschule, und man denkt
an den alten ehrlichen Koch und an sein
Gleichnis von dem aus faulem Käse hervor-
kriechenden Kunstwürmerschwarme. Aber
wir werden gut daran tun, solche Gedan-
ken für uns zu behalten, sonst möchten uns
die zwei- oder dreihundert Kunstjünger, die
in diesen Räumen Lehre und Unterwei-
sung finden, mit ihren Pinseln und Model-
lierhölzern übel mitspielen. Entfernen wir
uns eilig, ehe sie etwas von unfern Gedan-
ken ahnen!
 
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