482 Hans von Hoffensthal:
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paar Tagen war ganz plötzlich wieder
Blut.
Was sagt der Doktor? höre ich Sie schon
fragen. Ja. Liebe Frau Lore, das ist es.
Der Doktor sagt nichts, ich habe es vor
ihm und vor allen verheimlicht. Denn
Marion, die jetzt so glücklich ist, wieder in
die Sorge zurückzureißen, das kann ich nicht.
Wieviel Enttäuschung, wieviel Hartes
habe ich dieser Guten schon zugefügt. Jetzt,
da ich sie so glücklich sehe, kann ich ihr nicht
wieder weh tun.
Ich hoffe auch, es geht so vorüber, ohne
daß ich etwas Besonderes dagegen unter-
nehme. Ich nehme mich tüchtig zu-
sammen, schlucke alte Mittel, um das biß-
chen Hustenreiz zu unterdrücken, und bis
jetzt hat Marion ja auch nichts gemerkt.
Schwer fällt es mir nur, immer eine Aus-
rede zu finden, wenn sie mich wie bisher
zum Spazierengehen auffordert. Denn
vor der Überanstrengung — wir machten
oft ordentliche Wege — habe ich doch
Angst. Und dabei könnte sie doch einmal
bemerken, wie schwer es mir wird, bergan
zu atmen.
23. Dez.
Ich will den Brief heute absenden, denn
wer weiß, wie dies mit mir noch weiter
wird. Gestern nacht kam wieder Blut,
diesmal recht viel. Und diese Enge. Ma-
rion hat nichts gemerkt. Fast wünschte ich,
sie hätte es gesehen, damit ich mich nicht
so heimlich im Hause Herumschleppen muß
und auch den Arzt fragen könnte, aber ich
habe nicht den Mut, ihr die schwere Sorge
zu machen. Sie ist so glücklich.
Leben Sie wohl, liebe, gute Frau Lore.
Wären Sie jetzt hier, ich wüßte, was Sie
täten. Schickten mich ins Bett und schimpf-
ten mich zusammen. Lassen Sie nur —
wenn es mit den bösen Kopfschmerzen nicht
anders wird, muß ich mein Versteckenspiel
doch bald aufgeben."
R W R
An die Mutter des Poldi Antlaß, die
mit ihren zwei Mädchen in Trient lebte,
kam in diesen Tagen die Nachricht, daß
der Poldi im Hafen von Hongkong bei
einem Taifun ertrunken sei. Die kleine,
alte Frau — der Poldi war ein Spätling
und ihr Jüngster — weinte erst eine Weile
heftig und klagte laut das Schicksal an, das
ihr diesen Schmerz zufügte. Aber dann
hielt sie auf einmal mitten im Klagen und
Weinen inne, griff sich mit der Hand an
die graue, schmale Schläfe und besann sich
von ungefähr, daß sie die Tränen, zu denen
sie jetzt ihr Schmerz verleiten wollte, alle,
alle schon einmal geweint hatte, schon so
oft und oft, daß sie — kämen sie nicht aus
einem Mutterherzen — wohl längst ver-
siegt wären. Wie viele, viele Tränen hatte
sie um den Poldi vergossen! Als er ein
Bub war und Schlingel, dann als er in die
Schule ging und nicht lernte. Und nie und
nirgends gut tat — bis er dann eines Ta-
ges sein Bündel packte und auf Nimmer-
wiedersehen hinaus in die Welt zog. Ja
damals, schien es der alten Frau, weinte
sie um ihn gerade so, als wäre er schon
tot. Und weinte dann aber doch noch so oft,
wenn sie an ihn dachte, wie er unruhig
immerzu in der Fremde sich Herumtrieb,
bis ihn ein plötzlicher Tod jetzt holte.
Sie trocknete die Tränen, trippelte im
Zimmer auf und ab, las noch einmal das
Schreiben, das ihr die Botschaft gebracht,
und sann hin und her, mit wem sie sich
über einiges, was ihr am Herzen lag — Ver-
sorgung seiner Habe, seiner Papiere und
dergleichen — bereden könne. Sie kramte in
den Briefen, die Poldi ihr geschrieben,
blätterte darin, wischte wieder an einer
Träne, und dann fiel ihr auf einmal Toni
Wunderer ein, der ihren Sohn ja auch
drüben einmal besucht hatte und ihr gewiß
in allem an die Hand ginge.
Da schrieb sie ihm und bat, er sollte ihr
raten, und schrieb von ihrer Not um ihren
toten Poldi und von dem innigen Ver-
trauen , das sie zu ihm, dem Freund des
Verstorbenen, hätte, in einer so rührenden,
lieben Art, die kein Dichter ersinnen und
schon gar kein Schauspieler je wiedergeben
könnte, die einem einfachen Mutterherzen
aber ganz von selbst zu Gebote steht. Doch
als sie den Brief an Toni Wunderer senden
wollte, wußte sie nicht wohin, und ihre
Töchter wußten es auch nicht. Da sandte
sie den Brief an Walter Jsser und dachte
sich, der würde wissen, wo sein Freund
jetzt sei.
Doch auch im Florahause wußte das
niemand.
In diesen Tagen aber lief Toni Wun-
derer mit Cora zwischen Trient und Bozen
in den Etschauen auf und ab und saß Abend
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paar Tagen war ganz plötzlich wieder
Blut.
Was sagt der Doktor? höre ich Sie schon
fragen. Ja. Liebe Frau Lore, das ist es.
Der Doktor sagt nichts, ich habe es vor
ihm und vor allen verheimlicht. Denn
Marion, die jetzt so glücklich ist, wieder in
die Sorge zurückzureißen, das kann ich nicht.
Wieviel Enttäuschung, wieviel Hartes
habe ich dieser Guten schon zugefügt. Jetzt,
da ich sie so glücklich sehe, kann ich ihr nicht
wieder weh tun.
Ich hoffe auch, es geht so vorüber, ohne
daß ich etwas Besonderes dagegen unter-
nehme. Ich nehme mich tüchtig zu-
sammen, schlucke alte Mittel, um das biß-
chen Hustenreiz zu unterdrücken, und bis
jetzt hat Marion ja auch nichts gemerkt.
Schwer fällt es mir nur, immer eine Aus-
rede zu finden, wenn sie mich wie bisher
zum Spazierengehen auffordert. Denn
vor der Überanstrengung — wir machten
oft ordentliche Wege — habe ich doch
Angst. Und dabei könnte sie doch einmal
bemerken, wie schwer es mir wird, bergan
zu atmen.
23. Dez.
Ich will den Brief heute absenden, denn
wer weiß, wie dies mit mir noch weiter
wird. Gestern nacht kam wieder Blut,
diesmal recht viel. Und diese Enge. Ma-
rion hat nichts gemerkt. Fast wünschte ich,
sie hätte es gesehen, damit ich mich nicht
so heimlich im Hause Herumschleppen muß
und auch den Arzt fragen könnte, aber ich
habe nicht den Mut, ihr die schwere Sorge
zu machen. Sie ist so glücklich.
Leben Sie wohl, liebe, gute Frau Lore.
Wären Sie jetzt hier, ich wüßte, was Sie
täten. Schickten mich ins Bett und schimpf-
ten mich zusammen. Lassen Sie nur —
wenn es mit den bösen Kopfschmerzen nicht
anders wird, muß ich mein Versteckenspiel
doch bald aufgeben."
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An die Mutter des Poldi Antlaß, die
mit ihren zwei Mädchen in Trient lebte,
kam in diesen Tagen die Nachricht, daß
der Poldi im Hafen von Hongkong bei
einem Taifun ertrunken sei. Die kleine,
alte Frau — der Poldi war ein Spätling
und ihr Jüngster — weinte erst eine Weile
heftig und klagte laut das Schicksal an, das
ihr diesen Schmerz zufügte. Aber dann
hielt sie auf einmal mitten im Klagen und
Weinen inne, griff sich mit der Hand an
die graue, schmale Schläfe und besann sich
von ungefähr, daß sie die Tränen, zu denen
sie jetzt ihr Schmerz verleiten wollte, alle,
alle schon einmal geweint hatte, schon so
oft und oft, daß sie — kämen sie nicht aus
einem Mutterherzen — wohl längst ver-
siegt wären. Wie viele, viele Tränen hatte
sie um den Poldi vergossen! Als er ein
Bub war und Schlingel, dann als er in die
Schule ging und nicht lernte. Und nie und
nirgends gut tat — bis er dann eines Ta-
ges sein Bündel packte und auf Nimmer-
wiedersehen hinaus in die Welt zog. Ja
damals, schien es der alten Frau, weinte
sie um ihn gerade so, als wäre er schon
tot. Und weinte dann aber doch noch so oft,
wenn sie an ihn dachte, wie er unruhig
immerzu in der Fremde sich Herumtrieb,
bis ihn ein plötzlicher Tod jetzt holte.
Sie trocknete die Tränen, trippelte im
Zimmer auf und ab, las noch einmal das
Schreiben, das ihr die Botschaft gebracht,
und sann hin und her, mit wem sie sich
über einiges, was ihr am Herzen lag — Ver-
sorgung seiner Habe, seiner Papiere und
dergleichen — bereden könne. Sie kramte in
den Briefen, die Poldi ihr geschrieben,
blätterte darin, wischte wieder an einer
Träne, und dann fiel ihr auf einmal Toni
Wunderer ein, der ihren Sohn ja auch
drüben einmal besucht hatte und ihr gewiß
in allem an die Hand ginge.
Da schrieb sie ihm und bat, er sollte ihr
raten, und schrieb von ihrer Not um ihren
toten Poldi und von dem innigen Ver-
trauen , das sie zu ihm, dem Freund des
Verstorbenen, hätte, in einer so rührenden,
lieben Art, die kein Dichter ersinnen und
schon gar kein Schauspieler je wiedergeben
könnte, die einem einfachen Mutterherzen
aber ganz von selbst zu Gebote steht. Doch
als sie den Brief an Toni Wunderer senden
wollte, wußte sie nicht wohin, und ihre
Töchter wußten es auch nicht. Da sandte
sie den Brief an Walter Jsser und dachte
sich, der würde wissen, wo sein Freund
jetzt sei.
Doch auch im Florahause wußte das
niemand.
In diesen Tagen aber lief Toni Wun-
derer mit Cora zwischen Trient und Bozen
in den Etschauen auf und ab und saß Abend