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Velhagen & Klasings Monatshefte — Band 28, 1.1913/​1914

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Heft 4 (Dezember 1913)
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Delle Grazie, Marie Eugenie: Frau Gertys Saison, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.54883#0682

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570 M. E. delle Grazie: Frau Gertys Saison

Er machte eine Pause, lehnte sich zurück,
ließ einen beredten Kennerblick über die
Linie gehen, die sich von dem herzförmigen
Ausschnitt ihrer schwarzen Gazebluse all-
mählich gegen die Hüften verlor . . .
„Nun ?" lächelte Frau Gerty. Ihre Ge-
danken waren zwar wieder drüben gewesen.
Aber von diesem Menschen ging ein so
merkwürdiges Geprickel aus. .Wie Cham-
pagner ft dachte sie mit einem leisen Seuf-
zer. Und aufs neue lächelte sie. „Nun?"
„Veuvs Oiiguot!" antwortete der Ba-
ron mit einer schneidigen Verbeugung.
Einen Augenblick verschlug es ihr den
Atem. ,Unheimlicher Kerl das ft dachte sie.
,Der schlägt mir ja meine Gedanken wie
einen Tennisball zurück ft
„Und das dichten Sie in soviel Schwarz
hinein ?" fragte sie mit einer koketten Hand-
bewegung über ihre Toilette.
Der Baron lachte. „Gnädige entschul-
digen , aber wenn man vom Turf ist. ..
Was hat die Farbe mit der Rasse zu tun ?
Und Ihnen ist sie nicht einmal angeboren."
„Daß Sie auch beim Tee nicht vom
Sport loskommen," drohte Frau Gerty.
Sie fand es notwendig, etwas Nachsicht zu
markieren. Wenigstens solange Marianne
zugegen war.
„Beim Frühjahrsrennen werden Gnä-
dige ja auch wieder zu sehen sein?" lenkte
der Baron ein. „Klub schwärmt noch heute
von Ihnen —"
„In der Tat?"
„Und von der herrlichen Robe, die Gnä-
dige vor zwei Jahren ins Treffen führten.
Hatte damals noch keine Ahnung, daß
ich einmal die Ehre haben werde."
„Sie können den Likör herumgeben,
Marianne," befahl Frau Gerty mit einem
leisen Hüsteln.
„Ja, der Poiret." Sie nickte. „Es war
die letzte Robe, die mein armer Mann für
mich ausgesucht hat."
„Unglaublich!" entfuhr es dem Baron.
Frau Gerty nahm einen Anflug zur
Hochnäsigkeit. „Sie meinen, weil er Ban-
kier war — ?"
„Aber bitte, bitte," wehrte der Baron ab.
„War durchaus keine Kritik. Bloß ehrliche
Bewunderung einer — äh — Qualität."
„Wenn sich ein Vermögen durch drei
Generationen forterbt, hat auch das Geld
seine Kultur."

„Zweifellos." Der Baron verbeugte sich.
„Aber gnädige Frau greifen so schneidig
an. — Donnerwetter!"
Er hob das Glas, funkelte sie an . . .
Sie lächelte bloß. ,Du wolltest zu früh
dominieren, mein Lieber. Warte?
Er verstand und strich etwas verlegen an
seinem Schnurrbart herum. Nur —. ,Auf
dem Semmering war sie nachgiebiger/ fuhr
es ihm durch den Sinn. 'Ist ein anderer
in Reserve oder — bluff' ich nicht mehr?<
'So/ dachte Frau Gerty. 'Und nun
schick' ich die Marianne hinaus, daß sich
der arme Kerl wieder ein bisserl erholt/
Es war immer derselbe Wink, der
Fräulein Marianne entließ. Ein leichtes
Neigen des Hauptes.
Aber diesmal blieb Fräulein Marianne
nicht einmal vor der Türe stehn, um zu
horchen.
,Der Baron ist es nicht/ entschied sie
betroffen. -Oder sie verstellt sich noch
besser, als ich es kann?
R R R
,Jm Boudoir ist sie traitabler/ dachte
der Baron eine halbe Stunde später. Frau
Gerty selbst hatte ihn zum Rauchen auf-
gefordert und war mit gutem Beispiel
vorangegangen. Seinen Flirt konnte er
ja haben, wenn er wollte. Soweit war
sie ganz mondain. Und wenn diese und
jene Anzüglichkeit auch zuweilen nach dem
Rennstall roch... die blauen Kräuselwölk-
chen der Zigaretten hingen so diskret zwi-
schen seinen Scherzen und ihrem Lachen.
Aber — die Scheidewand blieb.
.Wird ein Hindernisrennen/ kalkulierte
Herr von Hechingen und kniff die Augen
ein.
Er war ein Kenner, besonders der Blon-
den. Und auf dem Semmering hatte das
Signal schon „Bahn frei" gezeigt. Nun
hieß es aufs neue sondieren. Und Weiber
mit Psychologie... brrr.
Aber die Million, die sie geerbt hatte!
Bloß die Perlen, die sie heute trug. —
Sein Adel war alt. Der Kämmererschlüssel
gehörte mit dazu. Wenn er aber von seinen
Gütern zu reden anfing, setzten die Zu-
hörer immer diese gewisse Miene auf. Er
lebte vom Rennstall, also vom — Hasard.
Ganz Wien wußte es.
„Gnädige sind nun vier Wochen in
Wien," begann er vorsichtig. „Da haben
 
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