Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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Heft 2
DOI Artikel:Biermann, Georg: Hoetgers Denkmal der Arbeit: ein Brief an den Künstler
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letzten Ausdruck zu finden, der plastisch
überhaupt denkbar ist, stellt Deine Fi-
guren der Arbeit auf eine wesentlich
höhere Stufe künstlerischer Intuition.
Vor solcher Gebärde verstummt auch
das Schönheitsgefühl des modernen
Klassizisten, dem die edle Form, die
große Linie alles bedeutet, so wie sie
z. B. dem Romanen durch inneres Ge-
setz überliefert ist, das eigentlich nur
hier und da Gotiker und später wieder
einmal Rodin vorübergehend durch-
brochen haben.
Auch Du warst einige Jahre hindurch
dem Griechentum verfallen, so in der
Zeit, wo wir zusammen in Darmstadt
gearbeitet haben, bis das grauenvolle
Erleben des Krieges Dich mehr als mich
vollends aus dem Gleise warf.
Bernhard Hoetger
Alte Frau
Dann setzte ein neuer Drang nach Ge-
staltung bei Dir ein. Aber jeder schöp-
ferische Wille mußte damals ins Tra-
gische verebben. Kein Griechenideal
hatte Halt mehr in dieser zerklüfteten,
unterwühlten Zeit, in der Freunde aus-
einandergingen, die lange im Kampf
zusammengestanden, in der mensch-
liche Tugend lächerlich schien gegen-
über der allgemeinen Selbstbehauptung
des Individuums mit allen Mitteln.
Du gingst damals in Deine Einsam-
keit, und es war gewiß Dein größtes
Glück, auch da Freunde zu finden, die Deinem Schaffen neuen Antrieb geben durften.
Doch um zu Deinem Denkmal zurückzukehren:
Ich habe das Gefühl, daß noch ein harter Kampf um diese Dinge entbrennen wird,
und hoffe es sogar. Denn die Geschichte beweist, daß je lauter einmal der Kampf um
künstlerische Bekenntnisse geführt wurde, um so stärker sich eines Tages die Leistung
behaupten konnte. Nur solltest Du Dich nicht mit diesem Streit der Meinungen be-
lasten, weil Dich solches vom Wege abseits führt und von reinem künstlerischen
Schaffen. Laß Dir genug sein an Deinem Leben, das voll des schönen Irrtums war und
dessen letztes Fazit trotzdem Außergewöhnliches verschließt, das für den Durchschnitts-
menschen dieser Zeit heute vielleicht noch schwer zu fassen ist.
Wie sehr aber dieses Symbol der Arbeit Ausbruch und Durchbruch aus dem Gefühl
Deiner starken Menschlichkeit gewesen ist, weiß nur der, der Dich als Freund kennt
und die Wahrhaftigkeit Deines Werkes aus gemeinsamen Erlebnis begreift. Im übrigen
glaube mir, lieber Freund, daß es die letzte Freiheit auf Erden niemals gibt, daß alles
diesseitig-menschlich Begrenzte erst im Jenseits seine Erfüllung haben wird.
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überhaupt denkbar ist, stellt Deine Fi-
guren der Arbeit auf eine wesentlich
höhere Stufe künstlerischer Intuition.
Vor solcher Gebärde verstummt auch
das Schönheitsgefühl des modernen
Klassizisten, dem die edle Form, die
große Linie alles bedeutet, so wie sie
z. B. dem Romanen durch inneres Ge-
setz überliefert ist, das eigentlich nur
hier und da Gotiker und später wieder
einmal Rodin vorübergehend durch-
brochen haben.
Auch Du warst einige Jahre hindurch
dem Griechentum verfallen, so in der
Zeit, wo wir zusammen in Darmstadt
gearbeitet haben, bis das grauenvolle
Erleben des Krieges Dich mehr als mich
vollends aus dem Gleise warf.
Bernhard Hoetger
Alte Frau
Dann setzte ein neuer Drang nach Ge-
staltung bei Dir ein. Aber jeder schöp-
ferische Wille mußte damals ins Tra-
gische verebben. Kein Griechenideal
hatte Halt mehr in dieser zerklüfteten,
unterwühlten Zeit, in der Freunde aus-
einandergingen, die lange im Kampf
zusammengestanden, in der mensch-
liche Tugend lächerlich schien gegen-
über der allgemeinen Selbstbehauptung
des Individuums mit allen Mitteln.
Du gingst damals in Deine Einsam-
keit, und es war gewiß Dein größtes
Glück, auch da Freunde zu finden, die Deinem Schaffen neuen Antrieb geben durften.
Doch um zu Deinem Denkmal zurückzukehren:
Ich habe das Gefühl, daß noch ein harter Kampf um diese Dinge entbrennen wird,
und hoffe es sogar. Denn die Geschichte beweist, daß je lauter einmal der Kampf um
künstlerische Bekenntnisse geführt wurde, um so stärker sich eines Tages die Leistung
behaupten konnte. Nur solltest Du Dich nicht mit diesem Streit der Meinungen be-
lasten, weil Dich solches vom Wege abseits führt und von reinem künstlerischen
Schaffen. Laß Dir genug sein an Deinem Leben, das voll des schönen Irrtums war und
dessen letztes Fazit trotzdem Außergewöhnliches verschließt, das für den Durchschnitts-
menschen dieser Zeit heute vielleicht noch schwer zu fassen ist.
Wie sehr aber dieses Symbol der Arbeit Ausbruch und Durchbruch aus dem Gefühl
Deiner starken Menschlichkeit gewesen ist, weiß nur der, der Dich als Freund kennt
und die Wahrhaftigkeit Deines Werkes aus gemeinsamen Erlebnis begreift. Im übrigen
glaube mir, lieber Freund, daß es die letzte Freiheit auf Erden niemals gibt, daß alles
diesseitig-menschlich Begrenzte erst im Jenseits seine Erfüllung haben wird.
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