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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 9
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Scheyer, Ernst: Neue Werke von George Minne
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0292

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George Minne Büste de jeune fille. Bronze. 1926
Photo: Kunsthandlung Dr. Becker, Köln
NEUE WERKE VON GEORGE MINNE
VON ERNST SCHEYER
»Der Sieg über die Originalität, höchste Selbstbezwingung, die
Übersetzung des Ehrgeizes auf ein anderes Niveau, das ist Minne«.
Als Julius Meier-Graefe in seiner »Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst« (1904)
dies über den damals 58jährigen schrieb, gab er mehr als nur eine Kennzeichnung der
Kunst Minnes, er gab die Definition des »wahren Künstlers«. Es gehörte eine un-
gewöhnliche divinatorische Begabung dazu, um aus der damaligen Situation des Minne-
schen Schaffens diese seine ewige Qualität herauszuspüren, die wir heute angesichts
seiner letzten Werke beglückt anerkennen.
Schlagworte töten. Mit dem journalistischen Etikett: »Minne, der Gotiker«, zum
Überdruß wiederholt, hatte man Minne kunsthistorisch eingesargt, ebenso wie man
ihm heute mit dem Schlagworte des »Lateiners« schaden würde. Wenn man über-
haupt sein Werk, das noch keineswegs abgeschlossen scheint, an das jeweils Modische
anschließen wollte, fehlte man gegen Minnes ewige Qualität. Als Minne »gotisch«
schuf, war das niemals ein ehrgeiziges Erspüren der Kunstkonjunktur, ein Übernehmen
historischer Form, sondern die noch sehr isolierte Bemühung eines Künstlers, der mit
einigen seiner Kampf- und Generations-Genossen — man denke an Morris -— in der
Gotik das Ideal der »reinen Form« verewigt sah.
Das Attribut »rein« hatte für ihn ganz besonders nicht nur einen ästhetischen, son-
dern einen höchst ethischen Sinn. Die Versuchung-, die Formreinheit durch die thema-
tischen Belastungsproben jener mit Ursclnnerz beladenen Gruppen (Les agenouilles
[Stein] 1888, »Enfant« prodiguo 1896, Mere et enfant mort) zu vertiefen, lag jener
im Literarisch-Symbolischen so stark fixierten Zeit zu nahe, als daß ein so ernst-

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