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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Sonderheft Kunstliteratur
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Architektur
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Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0788

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Kunstgewerbe

dem ungewöhnlichen Wege, daß struktiv nicht not-
wendige Freipfeiler eingezogen werden. Die Bil-
dung von »Raumgruppen« ist aber nie das Ziel der
Gotik gewesen.
Solche Überlegungen scheinen mir notwendig,
wenn auch nicht geeignet, das Buch, das nicht nur
in seiner Form ausgezeichnet, sondern auch in-
haltlich reich an Resultaten und Gedanken ist,
herabzusetzen. Alexander Dorner
*
HENRI CLOUZOT: HISTOIRE DE LA MANU-
FACTURE DE JOUY ET LA TOILE IMPRIMÜ
EN FRANCE. Textband (2o5 Seiten). Tafel-
band (87 Tafeln, davon eine in Farbendruck).
Les Edition G. van Oest. Brüssel-Paris 1928.
Die »Toiles de Jouy« — die bedruckten Stoffe des
18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts —
feiern eine ihrer einstigen Bedeutung würdige Auf-
erstehung. Es war mir eine besondere Freude, vor
kurzem in einem großen Berliner Kunsthaus die
nach altem Verfahren in alten und neuen Mustern
wieder auf den Markt gebrachten »Toiles de Jouy«
Stück für Stück durchzusehen. Der terminus te-ch-
nicus »Toiles de Jouy« ist dem Franzosen ebenso
geläufig wie uns Deutschen leider immer noch die
Allgemeinbezeichnung »Gobelins« für Wandtep-
piche. Dabei dürfen die »Toiles de Jouy« in weit
höherem Maße den Sammelbegriff für sich in An-
spruch nehmen, war doch die Manufaktur Ober-
kampfs fast 83 Jahre lang das Unternehmen, das
den Markt weit über Frankreich hinaus beherrschte,
das den bedruckten Stoffen einen Ruf verschaffte,
der die Einfuhr der indischen Ware, zum Nutzen
des Adoptivvaterlandes des Gründers, fast gänzlich
unterband. Es war ein Zeichen der Zeit, daß der
gründlich ausgebildete deutsche Kunsthandwerker
im 18. Säkulum in Paris, der führenden Metropole
des guten Geschmacks, eine ausschlaggebende Stel-
lung gewann, wie nie zuvor. Der Stolz Frankreichs,
die Erzeugnisse der Ebenisten, sind bis auf verhält-
nismäßig wenige Firmen mit dem Namen deut-
scher Meister verknüpft; für die Toiles des Jouy
liegen die Verhältnisse um keinen Deut anders.
Auf die Frage- nach wirtschaftlichen und künstle-
rischen Gesichtspunkten näher einzugehen — für
das 17. Jahrhundert sind die flämischen Meister-
ateliers der von Colbert ins Leben gerufenen
Staatsmanufaktur der Gobelins das Gegenstück —
ist hier nicht der Ort. Die bedruckten Stoffe mit
ihren klar gezeichneten ornamentalen und figür-
lichen Mustern passen sich gerade heute der auf
Flächenwirkung eingestellten Innenarchitektur in
glänzender Weise an. Es besteht kaum ein Zwei-
fel, daß das Clouzotsche- Werk — zum mindesten
sein Tafelband — sich auch in Deutschland in
Kürze einbürgern wird.
Die dem Konservator des Museo Galliera zur Ver-
fügung stehenden Unterlagen und Archivalien —
mit Ausnahme der Manufaktur Jouy, die in Ur-

kunden reichlich vertreten ist— haben es ihm nicht
gerade leicht gemacht, eine nur einigermaßen voll-
ständige Geschichte des gedruckten Stoffes in Frank-
reich zusammenzustellen. Um es vorwegzunehmen,
Henri Clouzot hat mit außerordentlicher Gründlich-
keit, Liebe und Sachkenntnis gearbeitet. Daß noch
starke Lücken klaffen, namentlich auch bei den
Manufakturen, die durch erstklassige Erzeugnisse
vertreten sind, kann man dem Verfasser nicht zum
Vorwurf machen. Die Stürme der französischen
Revolution haben in dem urkundlichen Material
schlimm gehaust. Daß die in der Papierinflation
der Assignaten wie Pilze aus dem Boden schießen-
den neuen Manufakturen uns gerade keinen Über-
fluß an Belegen hinterlassen haben, nimmt wohl
kaum Wunder.
Der Hauptnachdruckdes Werkes liegt auf der Schil-
derung des Aufstieges, der Blüte und des Nieder-
ganges der von Christoph Philipp Oberkampf, dem
Sohn eines württembergischen Färbers, nach vielen
Mühen und geldlichen Schwierigkeiten 1760 ge-
gründeten Manufaktur von Jouy (bei Versailles),
die ihr Ideal in der Wiedergabe der »indiennes« er-
blickte, die in verhältnismäßig kurzer Zeit die orien-
talischen Vorbilder — wenn auch nicht nach dem
gleichen technischen Verfahren — in ihrer dekora-
tiven und künstlerischen Wirkung erreichte. Es
führt zu weit, auf den von Clouzot ausführlich ge-
schilderten Fabrikationsbetrieb und seine ständi-
gen Verbesserungen des näheren einzugehen. Die
Angaben des Verfassers sind genau und trotz der
unvermeidlichen Trockenheit des Stoffes anschau-
lich erfaßt. Clouzots persönliche Liebe für die pa-
triarchalische Gestalt Oberkampfs leuchtet durch
die Zeilen. Die verschiedenen Erzeugnisse des Un-
ternehmens, die »siamoises«, die »indiennes« u. a.
werden ausführlich behandelt, die Absatzziffern
der Manufaktur, die in den Jahren kurz vor dem
Ausbruch der großen französischen Revolution und
in dem ersten Dezennium des 19. Jahrhunderts zu
gewaltigen Zahlen anschwellen, die einen Begriff
von derBedeutungdes Welthauses Oberkampf geben,
gewissenhaft berichtet. Der Reiz der toiles de Jouy
findet seine Begründung einerseits in der delikaten
Farbengebung — zartes Violett, Blau, Rosa, ein
entzückendes Grün usw. —, andererseits in der
Güte der Fabrikation, in der Wahl der Grundstoffe
— zum größten Teil aus dem Orient eingeführt —
und nicht zum mindesten in der richtigen Auswer-
tung der Muster. Die Glanzstücke des Oberkampf-
schen Unternehmens sind die Möbelstoffe undWand-
bezüge — die durchaus aber nicht die piece de re-
sistance darstellten; der Hauptabsatz, der auch den
klingenden Gewinn zeitigte, galt den kleinmustri-
gen Kleiderstoffen —, denen der Pinsel J. B.Huets
wundersames Leben einhauchte. Heute wie einst
erwecken die Motive des Meisters — die bekannte
Episode von dem Müller, seinem Sohn und dem
die Zeche tragenden Esel, die Arbeiten in der Ma-
nufaktur von Jouy, die vier Jahreszeiten usw. •—,

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