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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 1
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Kunst-Literatur
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0061

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KUNST-LITERATUR

JULIUS MEIER-GRAEFE: RENOIR. (MR ko-
Textabbildungen und io Tafeln in farbigem
Lichtdruck und Heliogravüre.) Klinkhardt &
Biermann Verlag. Leipzig 1929.
Ein Meisterwerk des Verlages. V ielleicht das schönste
Werk dieses Jahres zur modernen Kunst: Welche
verschwenderische Fülle der Anschauung wird durch
die reiche Illustrierung gewährt. Wie stetig breitet
sie sich über alle Perioden des Meisters aus. Wie
außerordentlich nicht nur die Quantität, sondern
das Qualitative der Abbildungstechnik. Und wie ge-
diegen auch die sonst so oft mißglückenden Farb-
tafeln. Wer den stattlichen Band durchblättern
würde, ohne auch nur eine Zeile anzulesen, würde
sich bereits an dieser unerhörten Lieblichkeit sätti-
gen können, an dieser irisierenden Wohligkeit die-
ses Meisters, der einen völlig neuen Akkord für
Harmonie in dieWelt brachte, ohne irgendwelche
der neuen Bildmittel seiner Generation zu verlas-
sen. Dieses Meisters, der ungebrochene Milde, ja
durchgehende Süßigkeit, die wir sonst nur in nie-
deren Zonen der Kunst für möglich erachteten,
wieder den Höhen der Malerei zuführte.
Renoirs scheinbar einfache Situation ist in Wirk-
lichkeit äußerst polyphon: er sammelt wie in einem
edlen Becken alle Farbkultur des Impressionis-
mus in sich, alles Blühen, Leuchten, Schweben,
Schimmern der bewegten Substanz, womit er seine
eigene Zeit faszinieren konnte. Doch lebte in ihm, etwa
Monets häufigen Zerflossenheiten gegenüber, eine
geradezu rafaelische Kontrapunktik der runden-
den Massengliederung und durchgehenden Rhyth-
misierung, weshalb die Impressionistengegner ihn
als altmeisterlich begrüßen konnten. Jene inner-
halb alles milden Farbflusses geheime Regelung
und Kontrapunktik aber machte ihn auch den Ex-
pressionisten wertvoll. Und der jüngsten Ge-
neration, soweit sie wenigstens aller Dämonie, allem
Berserker tum bewußt abschwören will, um das
Wunder der Friedsamkeit aller Form — dieses viel-
leicht oberste Wunder — auszukosten, sagt diese
innere Sanftmut Renoirs wiederum Unendliches.
Aus diesem wunderbaren Menschen, der die Maske
eines trockenen Skeptikers trug, flössen jene Ge-
bilde wohligster Lebensbejahung, zär tlichster Pflege
und Ilegung des Mitmenschen im Bilde, besonders
des Weibes und Kindes (des Kindes im Weibe oft).
Aber auch seine reinen Landschaf ten haben das
Geheimnis jener blühenden, wehenden Innigkeit,
mit der dieser scheinbar Verschlossene alles an-
rührte. Dies versöhnlich weibliche Lebensgefühl
allen Erscheinungen gegenüber, im Gegensatz zum
männlich dualistischen, ist in Renoir zur Genialität
erhoben.
Meier-Graefe, der die spätere Entwicklung Renoirs
aus nächster Nähe miterlebte, hat auf Preisen durch
Europa und Amerika das weit verstreute Material
gesammelt und soweit als möglich chronologisch

geordnet. Die Söhne Renoirs und vor allem Du-
rand-Ruel, letzterer sowohl in Paris als auch in
New York, haben eine Fülle neuen Bildmaterials
ermöglicht.
Der Text ist weder streng historisch noch systema-
tisch, fließt vielmehr in jener freien und bewegten
Form dahin, die wir von Meier-Graefe kennen.
Lebenserzählung und Bilderanalyse werden nicht
getrennt, sondern unbekümmert ineinander ver-
woben. Entscheidend bleibt die Frage, ob die Ar-
beiten der letzten Phase wirklich als Höhepunkt
angesprochen werden dürfen. Diese romantisch-
konstruktive Crescendotheorie vom Anstieg eines
Meisters bis zu seiner letzten Reife, jene Theorie,
die heute häufig ist, stimmt nur auf einige be-
stimmte Meister. Mancher Mittag ist aber bedeut-
samer als der Abend. Bei Renoir, wo im Gegensätze
etwa zum späten Corinth immer eine liebende, zart
einkreisende Behutsamkeit walten soll, auch bei
breitester Bildanlage, scheint die manuelle späte
Gehemmtheit (die einen Corinth nur zu letzter
Wucht bringen konnte) doch gewisse Minderungen
— wenigstens gelegentlich — im Bildorganismus
zu bewirken. Die mittleren Perioden scheinen mir
bedeutsamer, wegen ihr es hohen mittäglichen Gleich-
gewichtes zwischen freiestem Strömen der Farbe
und kontrapunktlicher Balance der Bildmassen.
Ein geistvoller Autor aber bleibt immer durch-
schlagend, und so wird man den schönen Band in
keiner Hinsicht ohne Gewinn aus der Hand legen.
Roh
PIERRE LAVALLEE: DESSINS FRANCAIS du
XVIIIe Siede ä la Bibliotheque de l’Ecole
Nationale des beaux-arts. (Dessins de mai-
tres anciens.) Paris et Bruxelles. Les editions
G. van Oest. 1928.
Die Ecole des beaux-arts übernahm mit dem Erbe
der ehemals Königlichen Malakademie auch einen
Teil ihrer Sammlungen und ihrer Bibliothek. Zu
dem Stock an akademischen Zeichnungen, die die
Geschichte dieses Institutes von seinen Anfängen
her begleiten, treten noch eine Reihe von Stiftun-
gen, deren bedeutendste die der Sammlung Ar-
mand-Valton ist, die der ecole 1908 zufiel. Allein
3i von den in dieser Publikation veröffentlichten
48 Meisterzeichnungen entstammen dieser berühm-
ten Sammlung. Und man darf sagen, daß jedes
der in diesem Bande vereinigten Blätter ein Kleinod
der französischen Kunst des 18. Jahrhunderts ist;
doppelt wertvoll, wennder Entwurf noch als Studie
zu einem berühmten Bild beglaubigt ist wie bei
dem Studienblatt von Watteau auf Tafel 6, das auf
die »Finette« im Louvre hinweist oder bei dem
Entwurf auf Tafel 32, der die Vorstudie zu dem
»fils puni« von Greuze im Louvre ist. Im übrigen
hat der Herausgeber die Wahl ausschließlich unter
dem Gesichtspunkt der Qualität getroffen. Die

5 Der Cicerone, Jahrg. XXI, Heft

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