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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 5
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Baldass, Ludwig: Die Wiener Tafelmalerei von 1410-1460, 2: (Neuerwerbungen des Wiener kunsthistorischen Museums)
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0157

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DIE WIENER TAFELMALEREI VON 1410—1460
(NEUERWERBUNGEN DES WIENER KUNSTHISTORISCHEN MUSEUMS)
VON LUDWIG BALDASS
II. Fortsetzung und Schluß aus Heft 5
Der neue Realismus offenbart sich deutlich erst in der Wiener Malerei der vierziger
Jahre. Reifer und derber als die fünf Tafeln der Joachims- und Marienlegende sind
dann die großen Tafeln des Albrechtaltars in Klosterneuburg, in denen der neue
Wirklichkeitssinn sich viel stärker Bahn bricht. Der Meister hat hier ganz mit dem
weichen Stil gebrochen.
Während vier Passionstafeln in Troppau von dem beweglichen Stil des Meisters der
St. Lambrechter Votivtafel abzuleiten sind, schließen vier andere des Budapester Mu-
seums zwar in der Farbengebung gleichfalls an diesen Künstler an, übernehmen aber
sonst die stärker feierliche Art des Darbringungsmeisters, dessen Raumverteilung vor
allem der Budapester Einzug in Jerusalem (Abb. 8) weiterbddet. Aber auch die Typen
verschiedener Apostel und Schergen und die schweren, etwas klobigen Hände Christi
erinnern an das späteste Werk des Darbringungsmeisters, an die Beschneidung in Nürn-
berg. Schließlich nehmen von der stark lebendigen Kunst des Meisters des Albrecht-
altars in der Ausprägung der fünf Marienbilder von 1438 fünf doppelseitig bemalte
Tafeln mit Heiligenlegenden auf der Vorder- und Passionsszenen auf der Rückseite,
die 1924 im Wiener Handel zu sehen waren (Abb. 11), ihren Ausgang1.
Das bedeutendste Werk der Österreich'sehen Kunst der vierziger Jahre ist aber keine
Schöpfung der Malerei, sondern ein Schnitzaltar. Seine weitere Provenienz, er stammt
aus dem Vorrat der Gemäldegalerie im Kunsthistorischen Museum, ist nicht auf gehellt.
Suidas Angabe, daß er aus Znaim stammt, ist ebenso wie Kieslingers" Lokalisierung an
die Nordgrenze von Niederösterreich unbewiesen. Wir sind für die örtliche und zeit-
liche Ansetzung des hochbedeutenden Werkes ganz auf die Stilkritik angewiesen. Die
Schnitzereien des Mittelteils und der Innenseite der Flügeln (Kreuztragung [Abb. 14],
Kreuzigung und Kreuzabnahme) stehen isoliert in der deutschen Plastik. Nirgends
sonst begegnen wir einer ähnlichen Gedrängtheit vielfiguriger Kompositionen und einem
ähnlichen kraftvollen und wilden Realismus. Es ist der Stil der Wurzaclier Tafeln
Hans Multschers von 1437, der hier in die Plastik übersetzt ist. Dazu kommt eine
ungemein farbenprächtige und reiche Fassung, die in den letzten Jahren durch Sebastian
Isepp wieder freigelegt wuirde. In dieser wohl erhaltenen Fassung wetteifert das WTerk
mit der Tafelmalerei. Überall sehen wir den gelungenen Versuch, die Stofflichkeit der
Oberfläche der Dinge zu bringen. Auch sonst klingt manches an die österreichische Ma-
lerei um 1440 an. So erinnern die Bewegungen der Schergen an die Budapester Passions-
tafeln, die Prophetenfiguren über dem Jerusalemer Tor aber samt den Säulen auf denen
sie stehen (Abb. 7), an die Wiener Heimsuchung (Abb. 6). Während jedoch die Figür-
chen dieser Tafel noch den weichen fließenden Gewandstil der Grisaillefigürclien des
1 Sie messen 94:45,5 cm und stellen dar, auf den Vorderseiten: Disputation und Marter der hl.
Katharina, Barbara im Kerker, St. Vigilius und Enthauptung Barbaras, auf den gröber gehaltenen
ungefirnißten Rückseiten: Geißelung, Dornenkrönung, Ausstellung, Kreuztragung und Kreuzigung
Christi.
Die mittelalterliche Plastik in Österreich, Wien und Leipzig, 1926, Abb. 27, Tafel 21 und 22.
Kieslingers Behauptung, daß eine bedeutend figurenreichere Kreuztragungszeichnung der ehe-
maligen Sammlung Rodriguez (Abb. im Auktionskatalog, Amsterdam, Müller, 12. Juni 1921,
Nr. 82) sowie ein doppelseitiges Blatt im Handel (Albertina-Publikation 1317, 1318) Arbeiten
des Schnitzers seien, ist nicht überzeugend. Die Kreuztragungszeichnung steht dem Wiener Schnitz-
altar kaum näher als etwa den Passionszenen aus der Werkstatt des Kleisters von Schloß Lichten-
stein (vgl. Abb. 13).

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