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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 16
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Freund, Frank E. Washburn: Rembrandts "Aristoteles mit der Büste des Homer"
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0493

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REMBRANDTS »ARISTOTELES MIT DER BÜSTE
DES HOMER « VON FRANK E. WASHBURN FREUND
Gegen Ende 1928 erwarb der New Yorker Sammler Mr. A. W. Erickson von Sir
Joseph Duveen eines der wunderbarsten Gemälde Rembrandts, das sich in den Ver-
einigten Staaten befindet und das unzweifelhaft zu dessen herrlichsten Schöpfungen
überhaupt gehört. Es ist der früher als »Gelehrter« oder »Philosoph«, dann später
als »Torquato Tasso« und noch später als »Virgil« bezeiclmete »Aristoteles mit der
Büste des Homer«, der einst die Sammlung Rodolplie Kann in Paris und dann die
der Mrs. Collis P. Huntington in New York geschmückt hatte. Jetzt hängt das W under-
werk in seinem leuchtenden Schwarz, Gold und Weiß in dem Musikzimmer des Mr.
Erickson, der eine an Zahl kleine, an Qualität sehr bedeutende Sammlung von Ge-
mälden in seinen vornehmen und zugleich schlichten Räumen um sich versammelt hat.
Der Aristoteles beherrscht das Zimmer, ohne jedoch die anderen Werke irgendwie zu
beeinträchtigen. Dies sind, außer drei weniger bedeutenden, aber charakteristischen
Bildern Rembrandts, ein Holbein und ein Crivelli. Sie alle beweisen, daß große Kunst,
selbst der verschiedensten Art, sich immer verträgt.
Der Aristoteles war mehrfach öffentlich ausgestellt gewesen, u. a. als Nr. 97 auf der
großen Hudson-Fulton Zelebrationsausstellung in New York im Jahre 1909. In Bodes
Rembrandtwerk ist er als Nr. 585 und in den Klassikern der Kunst auf Seite 426
(leider recht mäßig) abgebildet.
Die Abbildungen geben keine Vorstellung von dem fast überirdischen Glan'Z' und dem
pulsierenden Leben, das von diesem Gemälde ausgeht. Das schwarze Übergewand und
die schwere, goldene, pastös gemalte Kette leuchten wie eine tiefdunkle, aber von
Sternen erhellte Nacht, durch die goldweiße Wolken (die in breiten Falten herab-
fallenden Ärmel des Untergewrandes) in wuchtigen Massen ziehen. Alles ist geheimnis-
voll wie eine aus dem Dunkel aufsteigende, unerhörte Vision. Der Raum ist nur leise
durch den Tisch, der die Homerbüste trägt, und die hinter ihm aufgehäuften Folianten
angedeutet. Und ebenso geheimnisvoll ist der tiefe, wie in sich selber versenkte
Blick dieser weitgeöffneten, dunklen Augen, die wie Kohlen in dem bleichen, haar-
und bartumrahmten, von einem breitrandigen schwarzen Hut überschatteten Gesicht
brennen und doch so tieftraurig sind: ein Blick, der wie der des Lenauschen »Mönches«
allen Schmerz, allen Jammer der Erde und Kreatur in sich zu schließen scheint. Wie
die in ihrer Plastizität prächtig zu Tage tretende und doch mit größter Meisterschaft
als nur untergeordnetes Glied des Ganzen behandelte Büste in die Komposition ein-
gefügt ist, macht das Bild, auch in dieser Beziehung, zu einem wahren Meisterwerk.
Das Gemälde stammt aus dem Jahre 1655, einem an Zahl der Schöpfungen armen
Jahre, in dem sich im Leben Rembrandts Freude und Schmerz seltsam mischten. Die
junge Hendrickje und der aufwTachsende Titus brachten noch einmal Jugend und
Fröhlichkeit in sein Haus, das damals auch noch all den Vorrat an herrlichen Kostümen,
Juwelen, Waffen und anderen Kunstgegenständen beherbergte. Aber der Zusammen-
bruch, der ihn all dieser für ihn viel mehr als äußere Anregung bedeutenden Dinge
berauben sollte, begann gerade damals schon seine dunklen Schatten vorauszuwerfen.
War Rembrandt doch in diesem Jahre gezwungen, hohe Darlehen aufzunehmen, um
die Katastrophe hintanzuhalten. So ist es fast, als wären ihm all diese Schätze, die er
in früheren Jahren schon mit einem gewissen Besitzerstolz seinen Angehörigen, dem
Vater, der »Schwester«, der Saskia, umgehängt, hatte, jetzt, wo er sich bald von
ihnen zu trennen hatte, ganz besonders ans Herz gewachsen. Er sieht sie gleichsam
als Symbole des Lebens selber an, nicht mehr bloß als äußeren Schmuck. Und so
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