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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 15
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Friedländer, Max J.: Jan van Eycks Altar aus Ypern
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0462

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JAN VAN EYCKS ALTAR AUS YPERN
VON MAX J. FRIEDLÄNDER
Durch die \ an Eyck-Literatur gespenstert der Flügelaltar aus St. Martin, aus Ypern.
Wäre er verschollen, so würde von ihm mit höchster Ehrfurcht gesprochen und sein
Verlust tief beklagt werden. Denn er ist durch mehrere Stimmen aus dem 16. Jahr-
hundert, besonders durch die Beschreibung von Van Vaernewyck, einwandfrei beglaubigt
als ein Hauptwerk Jan van Eycks. Nun ist er aber da, befand sich bis vor kurzem im
Besitz einer Löwener Familie. Den Eindruck, den er 1902 auf der denkwürdigen Aus-
stellung in Brügge machte, entsprach keineswegs den mit Fug hoch gespannten Er-
wartungen. Die »Kenner« konnten sich bei seinem Anblicke mit den »Schriftgelehrten«
nicht einig werden und suchten sich zu helfen, so gut es gehen wollte, indem sie von
völliger Übermalung, von Kopie und selbst von Fälschung sprachen.
Seit einigen Monaten steht das Triptychon in Berlin, ist gereinigt worden und kann
unter den günstigsten Bedingungen geprüft werden. An der Untersuchung hat sich
mit Eifer namentlich der belgische Kunstgelehrte G. Hulin de Loo beteiligt.
Mein Urteil kann ich nicht ohne Mühe formulieren, zumal der Altar einerseits von
verfälschenden Zutaten befreit, andererseits aber aufs neue ergänzt worden ist. Der
fremdartige Stifterkopf, nach Malweise und Barttracht aus der Zeit um 1600, ver-
schwand bei der jüngsten Reinigung, und darunter kam ein Kopf im Stile Jan van Eycks
zum Vorschein, jedoch nur im Umriß, in Resten des ursprünglichen Bestandes. Er ist
»restauriert« worden in einem mir nicht kontrollierbaren Grad und bietet der Stil-
kritik keine verläßliche Aussage. Anders die Madonna, das Kind, das Bauwerk, der land-
schaftliche Grund im Mittelfelde sowie der blaue Brokatmantel des Stifters. Diese
Teile sind im wesentlichen rein und erscheinen unfertig.
Nach der ältesten Beschreibung soll Jan van Eyck wenigstens die Flügel unvollendet
hinterlassen haben. Der Augenschein bestätigt diesen Bericht und belehrt uns aber
auch, daß die Mitteltafel keinesfalls, wie man sonst auch über den Kunstwert denken
mag, jene Dichtigkeit, jenes Email, jenen Formenreichtum, jene Schärfe der akzen-
tuierenden Zeichnung, jenes Helldunkel, jene glühende Leuchtkraft zeigt, also die
Eigenschaften, die wir aus allen übrigen Schöpfungen des Meisters kennen.
Die Qualität des Malwerks ist ungleich und geht stufenweise abwärts. Namentlich die
Innenflügel sehen flüchtig und sorglos angelegt aus.
Nehmen wir an, daß der Altar unvollendet geblieben ist, weil der Meister mitten in
der Arbeit durch den Tod abgerufen wurde, so können wir für wahrscheinlich halten,
daß Schüler kräftig mitgearbeitet haben. Vielleicht war Jan van Eyck krank und zog
mit geschwächter Schaffenskraft Hilfe heran, um das Werk noch zum Abschluß zu
bringen. Vielleicht war der Altar bei seinem Ableben in einem Zustand offenbarer
Unfertigkeit, und der Auftraggeber ließ ihn durch die Schüler bis zu einem Punkte
leidlicher Geschlossenheit fortführen.
ln der Regel tat der Meister das Erste und das Letzte, während seine Gehilfen in der
mittleren Phase der Ausführung eingriffen. Der Meister überging am Ende und be-
deckte den Farbenauftrag der Schüler und verlieh der Oberfläche Glanz und Leben.
Ist Jan van Eyck in diesem Falle nicht mehr dazu gekommen, das Letzte zu tun, so
mag in der ungewöhnlichen Erscheinung etwas von der sonst immanenten Hilfs-
leistung zutage liegen.
Einigen werden sich alle Beurteiler darüber, daß der Altar, wie er vor uns steht,
identisch ist mit dem von Van Vaernewyck beschriebenen, daß er von Jan van Eyck an-
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