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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Sonderheft Kunstliteratur
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Kunstgewerbe
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Kunstgewerbe

die mit soviel Einfachheit und Grazie, mit soviel
Verständnis für die Eigenart der Technik dem
Weiß des Grundes aufgelegt sind, uneingeschränk-
tes Entzücken. In einem mag der heutige Ge-
schmack von dem der grandes dames des sterben-
den Königtums abweichen. Die toiles en camaieux
sind bedeutend feiner in der Empfindung, weit
mehr dem dekorativen Prinzip angepaßt als die
wesentlich teureren bunten Szenen, die dem Druck-
verfahren die mannigfaltigsten Hindernisse ent-
gegensetzten, an denen die »pincauteuses« — Male-
rinnen, die die »couleurs d’application« aufsetz-
ten — sich die Augen verdarben. Ein Kapitel für
sich sind die Muster der Kleiderstoffe. Ein ein-
wandfreier Nachweis der hier tätigen Künstler fehlt.
Es wäre meines Erachtens auch eine lohnende Auf-
gabe gewesen, den Einfluß der orientalischen als
Vorbild dienenden Stoffe, die Überleitung — zum
Teil in der Sprache Salembiers -— in den Stil des
ausgehenden Louis XVI., den Einfluß der gleich-
zeitigen Seidenmuster usw. nachzuweisen. Alles in
allem ist die Schilderung des Oberkampfschen Un-
ternehmens klar und einwandfrei, sie wird unter-
stützt durch ein reiches Abbildungsmaterial (Tafel-
band), das allerdings den einen Fehler hat, daß die
farbige Wiedergabe — ein recht wesentliches Mo-
ment zur Beurteilung der toiles de Jouy — unzu-
reichend berücksichtigt ist.
Die Unzahl der provinziellen Manufakturen — vor-
nehmlich in Mühlhausen, Colmar,Wesserling,Saint-
Denis, Troyes, Marseille, Orange, Bordeaux usw.,
die mit den Namen der Koechlin, Schmalzer, Doll-
fus, Vetter, Bisler, Senn, Bidermann, Elbinger,
Morlet, Wetter, Plegner u. a. aufs engste verknüpft
sind —, die an Güte und Umfang der Leistung
mitunter Jouy mehr oder weniger starke Konkur-
renz bereiteten, auch nur kurz zu streifen, verbie-
tet der mir zur Verfügung stehende Baum.
Zusammenfassend kann ich sagen, daß die Durch-
sicht des Text- und Tafelbandes — beide sind ge-
schmackvoll in toile de Jouy gebunden — ein Ge-
inuß war, daß wir allen Grund haben, demVerfasser,
Henri Clouzot, für die verständnisvoll durchgeführte
Arbeit dankbar zu sein. Es ist zu hoffen, daß das
Werk zum mindesten die Anregung gibt, die noch
wenig beachteten Stoffdruckfabriken des 18. und
19. Jahrhunderts, die auch in Deutschland blühten,
eingehenderen Untersuchungen und Nachforschun-
gen zu unterziehen. Heinrich Göbel
G. IC. LOUKOMSKI: Mobilieretdecoration
des anciens palais imperiaux russes
(Musees du peuple). Avec une preface de M.
Louis Beau. Paris et Bruxelles. Les Editions
G. VanOest. 1928. 45 Seiten Text. 84 Tafeln.
Der Titel ist etwas irreführend: der Verfasser,
G. IC. Loukomski, der ehemalige Konservator von
Zarskoje-Selo, der bald nach dem Umsturz das
kaiserliche Palais in ein Volksmuseum wandelte,
spricht nur von der Stätte seiner einstigen Wirk-

samkeit. Die sonstigen Schlösser der Kaiserfamilie
werden nur hier und da flüchtig gestreift.
Die Vorrede aus Reaus Feder bringt einen klar ge-
faßten, außerordentlich interessant geschriebenen
Allgemeinbericht über die Eigenart der russischen
Kunst, unter besonderer Berücksichtigung von Zar-
skoje-Selo. Loukomski geht bei seinen Darlegun-
gen vornehmlich von dem Gesichtspunkte aus, dem
Leser die Eigenart der russischen Kunst in der
Zeit von etwa 1740 bis i85o klar zu machen, in
einer Spanne, in der das typisch Russische des 16.
und 17. Jahrhunderts nicht mehr alleinherrschend
war, in der es galt, die vielfachen fremdländischen
— deutsche, holländische, französische, englische
und italienische — Einflüsse im Geiste des neuer-
wachten Rußland zu verarbeiten, die Formen des
Westens in einen national-russischen Stil einmün-
den zu lassen. Die Aufgabe ist reizvoll! Lou-
komski beginnt mit einem kurz gefaßten histori-
schen Überblick über die Baugeschichte von Zar-
skoje-Selo, der gewaltigen Anlage, die in Wirk-
lichkeit aus verschiedenen Baugruppen besteht, die,
zeitlich nacheinander entstanden, eine eigenartige
Stilübersicht von den Tagen der ersten Katharina
fast bis zum Sturze der Romanows gewähren. Es
geht zu weit, sich mit den verschiedenen Architek-
ten und Innenkünstlern, die Loukomski gewissen-
haft aufzählt, auch nur in Kürze zu befassen. Die
künstlerisch wertvollste Spanne, die Epoche des
russischen Rokoko, findet in dem Autor einen
liebevollen, kenntnisreichen Bearbeiter. Von beson-
derem Interesse für den deutschen Leser sind vor-
nehmlich die verhältnismäßig frühen Beziehun-
gen zu dem Kunstgewerbe von Hamburg und Dan-
zig, die sich unverfälscht in den riesigen gemal-
ten Kachelöfen spiegeln — in Anlehnung an die
hanseatischen Vorbilder, die wiederum holländi-
schen Einfluß verraten, von russischen Künstlern
ausgeführt —; nicht unerwähnt bleiben darf die
monumentale Leistung der Danzig-Berliner Bern-
steinmanufaktur G. Wolframs (und seiner Mit-
arbeiter) : das berühmte Bernsteinzimmer, ein Ge-
schenk (1717) König Friedrich Wilhelms I. von
Preußen an Zar Peter den Großen. Reizvoll sind
die mannigfaltigen Einwirkungen des süddeut-
schen Spätbarock und Rokoko usw. Die nicht min-
der interessante Umbildung des französischen
Louis XV. und Louis XVI. — um bei diesen alt-
gewohnten, wenn auch nicht ganz richtigen Stil-
bezeichnungen zu bleiben —, die sich bei weitem
nicht so charakteristisch äußert, wird an glücklich
gewählten Beispielen und Gegenüberstellungen er-
läutert — hervorragend ist die von dem Pariser
Ebenisten Jacob geschaffene Möbelausstattung, zu
der wohl ursprünglich auch die Kommode gehörte,
die vor kurzem auf der bekannten Lepke-Auk-
tion den Preis von 60000 M. erreichte. Von be-
sonderem Wert erscheint mir die Wiedergabe der
im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts in Toula
geschaffenen Möbel (Schmiedeeisen mit Kupfer-

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