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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 3
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Wertheimer, Otto: Ein oberrheinisches Mystikerkreuz um 1400
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0106

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mäßigen ein Unter ton von Gefühlswärme, von lyrischer Weichheit eigen, die ihren
Ursprung in dem Grundgefühl des liebevollen Sichversenkens in das Leiden hat- diese
Ausdrucksgestaltung steht im Widerspruch zur überrealistischen Konzeption und zur
herb-monumentalen Kraft der frühen Werke. Auch die rein formale Durchbildung
ist nüancierter, differenzierter und weicher zugleich. Zudem läßt sich das Werk mit
der sitzenden Maria in Hüttenheim so auf eine Linie bringen, daß, unter dem Vor-
behalt, den der mangelhafte Denkmälerbestand auf erlegt, für beide Werke die gleiche
Hand angenommen werden kann. Diese Maria geht auf das Vorbild einer böhmischen
»Schönen Maria« zurück und besitzt alle Eigenschaften dieses Umbildungsprozesses:
die breite Standfläche, die ausgreifende Abtreppung der dreimal sich wiederholenden
röhrenförmigen »Nadelfalten«, den Kaskadenfall des vielteiligen Kopftuches $ ver-
wandte Formen der Umwandlung des böhmischen Typus sind häufig, am ehesten ist
das Vesperbild aus der Elisabethkirche in Breslau (jetzt im schlesischen Museum) ver-
gleichbar1. Dieser Typus erfuhr seine oberrheinische Weiterbildung in der verwandten
Maria in Neuweiler, die eine spätere Arbeit des Meisters des Molsheimer Evangelisten
Johannes (Stuttgart) ist. Dieser Meister, zwar qualitativ mit dem Meister des Kol-
marer Kruzifixes nicht vergleichbar, ist als Übergangserscheinung zum eckigen, tek-
tonisch gefestigten, multscherartigen Stil der beiden Trauernden, Maria und Johannes
in Staufen von Bedeutung.
Diese kleinen Beobachtungen, vor allem des Zurückgreifens auf ein älteres Vorbild,
sind vielleicht geeignet, eine Handhabe zum Verständnis des weichen Stils zu bieten ^
denn wir sind vorläufig noch weit davon entfernt, den Sinn dieses Stils und den Grund
der Spannung zwischen diesem Stil und den großen revolutionären Meistern um 1400
zu begreifen. Hier aber ist die Wurzel der Divergens der Stile im Norden und Süden
des gesamten 15. Jahrhunderts.
1 Die Anlehnung an ein böhmisches Vorbild am Oberrhein hat eine etwas spätere Parallele in
der stehenden Maria in der Friedhofkapelle in Kenzingen, die jedoch nicht in guter Erhaltung
auf uns gekommen ist.
 
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