Seite des Wiener Kreuzigungsaltars. Nur die Grundstimmung ist geändert. Die Erden-
schwere, die diesen Figuren (vgl. Abb. 15) anhaftet, ist dieselbe, die auch den ge-
schnitzten Gestalten der ähnlich dichtgedrängten Reliefs (Abb. 14) eigen ist. Raum
und Landschaft sind auf die nötigsten Andeutungen beschränkt. Nirgends mehr — im
Gegensatz zu den früheren Tafeln ■—• zeigt sich ein Versuch, Einzelheiten der Natur
liebevoll nachzuschaffen. Lyrischer ist die Grundnote der beiden großen Marien-
szenen. In der starken Stoffmalerei möchte man zum erstenmal bei dem Meister eine
Berührung mit dem Westen mutmaßen.
Der Meister von Schloß Lichtenstein ist kein Revolutionär wie der Schnitzer des
Wiener Kreuzigungsaltars} er ist seiner Grundeinstellung nach auch retrospektiver als
der Meister des Albrechtsaltars. Er gehörte nicht der Generation der großen Erneuerer
der Malerei in Deutschland an wie Lucas Moser und Stefan Lochner, wie Konrad Witz
und Hans Multscher, wie der Meister des Tucheraitars und der bayrische Meister
von 1444, sondern fußt noch ganz in der Kunst des ersten Jahrhundertdrittels. Er
zeigt uns dafür, welchen Weg die deutsche Malerei ohne Einwirken burgundisch-
niederländischer Mächte genommen hätte, wie der neue Realismus sich zwar in den
Figuren auch von selbst Bahn bricht, in der Landschaft und der Raumdarstellung aber
der Anstoß von außen zur zwingenden Notwendigkeit wird. Ja die Flügel des späteren
Altares sind weniger räumlich empfunden als die des früheren, von denen etwa die
Tafel mit Christus im Tempel (Abb. 12) eine Art der Tiefendarstellung zeigt, die 1499
der Meister von Großgmain in allerdings viel freierer Weise wieder aufnimmt.
Um 1460 dringt dann der niederländische Einfluß in der neuen Ausprägung des
Figurenstils auch in Österreich durch. Aber das Hauptwerk, die beiden großen Tafeln
im Wiener Redemptoristenkloster schließt doch, wie namentlich in der Krönung Mariä1
klar sichtbar wird, in der großzügigen Haltung der Gestalten an die spätere Schöp-
fung des Meisters von Lichtenstein2 an.
NACHTRAG
Während der Drucklegung dieser Skizze erschien im II. Band der neuen Folge des Jahrbuches
der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien eine Abhandlung von Benesch »Zur altösterreichi-
schen Tafelmalerei«, deren erster Teil sich gleichfalls mit den hier aufgezeigten Problemen be-
schäftigt. Zu drei von Benesch ausführlich behandelten Fragen muß hier Stellung genommen
werden, zur Gruppierung des Materials, zur Lokalisierung der besprochenen Denkmäler und zur
Ableitung des Stils von eventuellen fremden Vorbildern.
In der Gruppierung des Materials weichen Beneschs Ansichten nur wenig von meinen ab. Dem
Hauptmeister der Frühzeit, dem er einen neuen Notnamen gibt (er benennt ihn nach der Linzer
Kreuzigung und nicht nach der St. Lambrechter Votivtafel, was an und für sich reine Geschmack-
sache ist, aber für den Außenstehenden die Frage noch verwirrter erscheinen läßt, als sie schon
ist), schreibt er außerdem die Erfindung eines Fensters in der Peterskirche zu St. Lambrecht und
die Einblattholzschnitte der Heimsuchung und Verkündigung Mariä in der Albertina zu, die be-
reits einmal Büchner mit der österreichischen Tafelmalerei, allerdings mit dem erheblich späteren
Meister von Schloß Lichtenstein, in Verbindung gebracht hatte. Während die Scheiben mir wirk-
lich den Geist des Meisters zu offenbaren scheinen, spüre ich in den den österreichischen Stil der
dreißiger Jahre repräsentierenden Holzschnitten eine derbere Empfindung, die sich auch in plumperen
Gesichtstypen äußert. Dagegen trennt Benesch die kleine Trauer unter dem Kreuze des Berliner Mu-
seums von dem Hauptmeister ab und bringt sie mit den Malereien am romanischen Faltstuhl des
Klosters Nonnberg in Salzburg zusammen, wie ich glaube, wenig überzeugend, da die Figuren
des Berliner Täfelchens ganz den Stil der Londoner Zeichnungen and die Falteugebung der Votiv-
tafel aufweisen, während die auf gleicher Stilstufe stehenden Malereien des Faltstuhls sehr ent-
schieden allgemeiner gehalten sind und sich durch besonders kleine Köpfe bei auffallend plumpen
1 Photo der Wiener Lichtbildstelle.
Photo von Höfle, Augsburg.
schwere, die diesen Figuren (vgl. Abb. 15) anhaftet, ist dieselbe, die auch den ge-
schnitzten Gestalten der ähnlich dichtgedrängten Reliefs (Abb. 14) eigen ist. Raum
und Landschaft sind auf die nötigsten Andeutungen beschränkt. Nirgends mehr — im
Gegensatz zu den früheren Tafeln ■—• zeigt sich ein Versuch, Einzelheiten der Natur
liebevoll nachzuschaffen. Lyrischer ist die Grundnote der beiden großen Marien-
szenen. In der starken Stoffmalerei möchte man zum erstenmal bei dem Meister eine
Berührung mit dem Westen mutmaßen.
Der Meister von Schloß Lichtenstein ist kein Revolutionär wie der Schnitzer des
Wiener Kreuzigungsaltars} er ist seiner Grundeinstellung nach auch retrospektiver als
der Meister des Albrechtsaltars. Er gehörte nicht der Generation der großen Erneuerer
der Malerei in Deutschland an wie Lucas Moser und Stefan Lochner, wie Konrad Witz
und Hans Multscher, wie der Meister des Tucheraitars und der bayrische Meister
von 1444, sondern fußt noch ganz in der Kunst des ersten Jahrhundertdrittels. Er
zeigt uns dafür, welchen Weg die deutsche Malerei ohne Einwirken burgundisch-
niederländischer Mächte genommen hätte, wie der neue Realismus sich zwar in den
Figuren auch von selbst Bahn bricht, in der Landschaft und der Raumdarstellung aber
der Anstoß von außen zur zwingenden Notwendigkeit wird. Ja die Flügel des späteren
Altares sind weniger räumlich empfunden als die des früheren, von denen etwa die
Tafel mit Christus im Tempel (Abb. 12) eine Art der Tiefendarstellung zeigt, die 1499
der Meister von Großgmain in allerdings viel freierer Weise wieder aufnimmt.
Um 1460 dringt dann der niederländische Einfluß in der neuen Ausprägung des
Figurenstils auch in Österreich durch. Aber das Hauptwerk, die beiden großen Tafeln
im Wiener Redemptoristenkloster schließt doch, wie namentlich in der Krönung Mariä1
klar sichtbar wird, in der großzügigen Haltung der Gestalten an die spätere Schöp-
fung des Meisters von Lichtenstein2 an.
NACHTRAG
Während der Drucklegung dieser Skizze erschien im II. Band der neuen Folge des Jahrbuches
der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien eine Abhandlung von Benesch »Zur altösterreichi-
schen Tafelmalerei«, deren erster Teil sich gleichfalls mit den hier aufgezeigten Problemen be-
schäftigt. Zu drei von Benesch ausführlich behandelten Fragen muß hier Stellung genommen
werden, zur Gruppierung des Materials, zur Lokalisierung der besprochenen Denkmäler und zur
Ableitung des Stils von eventuellen fremden Vorbildern.
In der Gruppierung des Materials weichen Beneschs Ansichten nur wenig von meinen ab. Dem
Hauptmeister der Frühzeit, dem er einen neuen Notnamen gibt (er benennt ihn nach der Linzer
Kreuzigung und nicht nach der St. Lambrechter Votivtafel, was an und für sich reine Geschmack-
sache ist, aber für den Außenstehenden die Frage noch verwirrter erscheinen läßt, als sie schon
ist), schreibt er außerdem die Erfindung eines Fensters in der Peterskirche zu St. Lambrecht und
die Einblattholzschnitte der Heimsuchung und Verkündigung Mariä in der Albertina zu, die be-
reits einmal Büchner mit der österreichischen Tafelmalerei, allerdings mit dem erheblich späteren
Meister von Schloß Lichtenstein, in Verbindung gebracht hatte. Während die Scheiben mir wirk-
lich den Geist des Meisters zu offenbaren scheinen, spüre ich in den den österreichischen Stil der
dreißiger Jahre repräsentierenden Holzschnitten eine derbere Empfindung, die sich auch in plumperen
Gesichtstypen äußert. Dagegen trennt Benesch die kleine Trauer unter dem Kreuze des Berliner Mu-
seums von dem Hauptmeister ab und bringt sie mit den Malereien am romanischen Faltstuhl des
Klosters Nonnberg in Salzburg zusammen, wie ich glaube, wenig überzeugend, da die Figuren
des Berliner Täfelchens ganz den Stil der Londoner Zeichnungen and die Falteugebung der Votiv-
tafel aufweisen, während die auf gleicher Stilstufe stehenden Malereien des Faltstuhls sehr ent-
schieden allgemeiner gehalten sind und sich durch besonders kleine Köpfe bei auffallend plumpen
1 Photo der Wiener Lichtbildstelle.
Photo von Höfle, Augsburg.