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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 5
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0172

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James Ensor Streit der Masken um einen Gehängten
Aus der großen Ensor-Ausstellung in Brüssel

endliche Zentrum zeitgenössischer Malerei, in dem
sich alle Straßen gestrigen und zukünftigen Schaf-
fens kreuzen. Nur den oberflächlichen Betrachter
kann die Vielartigkeit der Gesichte irritieren, der
wirkliche Kenner empfindet unbedingt die nie ver-
sagende künstlerische Kraft, die stets nach neuem
Ausdruck und neuen Mitteln sucht.
Ensor ist zeitlebens so eine Art von genialem Ama-
teur gewesen, der lediglich zu seiner eigenen Ge-
nugtuung malte und seiner unruhigen und beweg-
ten Sensibilität folgte. Durch diese Tatsache ent-
hüllt sich von selbst das Geheimnis der unbegrenz-
ten Horizonte, die sein erstaunliches Werk preis-
gibt
Zweifellos wird diese imposante Ausstellung im
Palais des Beaux Arts einem James Ensor endgül-
tig den überragenden Platz sichern, den er inner-
halb der Geschiehte zeitgenössischer Malerei zu for-
dern berechtigt ist und den ihm, wie es scheint,
bisher nur Deutschland zugestanden hat.
Gleichzeitig mit dieser Ausstellung fand in der Ga-
lerie Giroüx eine andere Retrospektive eines flä-
mischen Malers statt, der der Generation angehört,
die Ensor gefolgt ist: G u s I ave de S m e t. Dieser
Künstler steht heute mit seinem Kameraden Con-
stant Permeke an der Spitze der belgischen Nach-
kriegsmalerei. Anfänglich berührten sich die bei-
den im Hinblick auf Ausdruck und Kolorit sehr
eng, aber seit Jahren haben sie doch verschiedene
Wege verfolgt. Während Permeke im wesentlichen

ein epischer Maler blieb, ein Visionär, der die Rea-
lität fast brutal andeutet, geistiger Sohn eines Vin-
cent van Gogh, hat Gustave de Smet sich allmäh-
lich vom Expressionismus entfernt, um sich einer
gemäßigteren und gemesseneren Kunstform zuzu-
wenden, deren klassischer Charakter nicht verleug-
net werden kann. Er weiß seine immerhin zit-
ternde Emotion mit einer vollkommen reinen
Technik zu verbinden, die nichts mehr dem Zufall
überläßt, und während de Smet ursprünglich von
einem dunklen Kolorit, braunen und roten Erd-
tönen ausging, hat er allmählich seine Palette ins
Helle vorgetrieben, und seine letzten Gemälde sind
in klingenden Farben und geradezu raffinierten
Tönen gemalt. Obwohl er thematisch dem bäuer-
lichen Motiv des Landes an der Lys treu geblieben,
hat doch seine Malerei nichts vom Lokalen. Von
allen unseren gegenwärtigen Malern ist er viel-
leicht derjenige, bei dem die Rassenelemente am
wenigsten hervortreten. Seine Emotion hat zu-
gleich jene vornehme Diskretion, die mit nordisch
paroxystischen Vorstellungen nichts gemein hat.
Diese Kunst ist menschlich wunderbar balanciert
und scheint jetzt ihre endgültige Form gefunden
zu haben.
Die Galerie »Le Centaure« unternimmt es, dem
belgischen Publikum einige der besten deutschen
Künstler vorzustellen. Sie hat mit einer Ausstel-
1 ung von Paul Kl e e und R enee S in te n i s be-
gonnen, deren Werke auch hier sehr geschätzt sind.

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