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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

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Heft 7
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Biermann, Georg: Ernst Barlach: aus Anlass seines selbsterzählten Lebens
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0224

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ERNST BARLACH
AUS ANLASS SEINES S ELB STERZ ÄH LTEN LEBENS
VON GEORG BIERMANN
Ende des vergangenen Jahres erschien bei Paul Cassirer unter dem Titel: »Ernst
Barlach. Ein selbsterzähltes Leben« ein neues deutsches Künstlerbuch, das in
mancher Beziehung von dem bisherigen Typ derartiger Bücher abvveicht. Ohne daß
man die Zusammenhänge zu wissen braucht, ahnt man so von ungefähr: Dies ist eine
Notlösung^ geplant war ursprünglich was ganz anderes. Ja, geplant war in der Tat eine
richtige Barlach-Monograpliie, die ein deutscher Kunsthistoriker schreiben sollte, der
sich besonders viel mit Plastik beschäftigt hat und mit Recht als eines der feinsten Ge-
lehrtenprofile auf deutschen Hochschulkatlredern gilt.
Aber der kam nicht zu Rande mit seiner Arbeit, und so faßte man den genialen Ent-
schluß, den Künstler und Dichter Barlach selbst um einen Vorspruch zu seinem bild-
hauerischen Werk zu bitten und es ist sehr leicht denkbar, daß dies »selbsterzählte
Leben«, das sowieso nur ein Fragment ist, da es zeitlich über 1910 kaum hinaus-
reicht, seit Jahren fertig im Schreibtisch lag, genau so wie früher der »Tote Tag«
durch einen Zufallsauftrag von Paul Cassirer auf eine Mappe mit Lithos dem Schlum-
mer in Barlachs Schreibtischlade erfolgreich entrissen worden ist. Wie dem auch sei,
bei aller Hochachtung vor der ungeborenen Arbeit eines verehrten Zeitgenossen, aus
dessen Feder ich unserem Volke einmal das Dürer-Buch wünsche, in diesem Fall dürfen
wir seinen Hemmungen Dank wissen, weil wir ohne sie dies Barlachsche Bekenntnis
nicht besäßen.
Um gleich ein Fazit der Lektüre vorwegzunehmen: Dem Verehrer der Barlachschen
Kunst bringt dies biographische Selbstbekenntnis keine Überraschung. Die große
Stille die dies Werk wie Geheimnis umkreist, deutet auf ein Schicksal hin, das so und
nicht anders verlaufen konnte. Ich denke da nicht an die kleinen Zufälligkeiten des
Lebens, sondern mehr an die innere Dynamik im Menschen, die, sobald sie erst ein-
mal lebendig wurde, immer wieder vorantreibt, immer stärker zur Abstraktion im
Sinnlichen, zum Einspannen des Alltags in den Bogen des Unendlichen hindrängt. Aber
die Lektüre dieses »selbsterzählten Lebens« zeugt von der ersten Zeile an für den
Dichter, nicht im Sinne von »Wahrheit und Dichtung«, sondern durch die Akzent-
setzung beim Bekennen dieser Lebensschicksale, die — nebenbei gesagt — oftmals er-
greifend sind. Ein gutes Buch also, eines das in der zeitgenössischen Literatur seinen
Rang behaupten wird und das ----- alles in allem — unmittelbarer auch an die Barlach-
sche Kunst heranführt, als es je das niclrtgeschriebene Wort eines Kunstgelehrten von
Ruf vermocht hätte. Hat man aber dies kluge, bescheidene und immer nur obenhin
reflektierende Wort Barlachs gehört und ist man bei Seite 75 plötzlich ein wenig be-
troffen, daß die Selbstbiographie schon zu Ende ist — eine Fortsetzung muß einmal
folgen, obwohl man sie angesichts der Werke beinahe entbehren könnte —- dann
öffnet sich zum Trost ein wundervoll reicher eindringlicher Tafelanhang, der auf
84 Tafeln (das Titelbild mitgerechnet) Einblick in die Entwicklung seines Werkes ge-
stattet. Diese Tatsache unterstreicht, im Gegensatz zu dem rein Literarischen der
Selbstbiographie die Wichtigkeit des Buches im Sinne der modernen Kunst. Über
dies Künstler-Oeuvre ist aus Anlaß dieses Buches ein besonderes Wort zu sagen:
Hat man die Biographie des Meisters gelesen, würde man kaum diese Ernte im Künst-
lerischen vermuten. Uns, die wir Barlach seit zwei Jahrzehnten verfolgt haben, be-
deutet das mustergültig auf Tafeln reproduzierte Werk dennoch eine Überraschung.
Denn in dieser Folgerichtigkeit, durch die sich hier eine schöpferische Persönlichkeit

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