Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers (21.1929)

Miniatur aus Nr. 75. Getijden. Pergamentmanuskript. Utrecht um 1470
Aus der Versteigerung der Sammlung Dr. J. Liebmann am 28. Mai bei Jos. Baer & Co , Frankfurt a. M.

Kunstfreunden bekannt geworden. Einzelne Stücke,
vermehrt um solche der Sammlungen Marx und
Michels, sind auf den repräsentativen Ausstel-
lungen rheinischer Kunst in Köln und Darmstadt
in den letzten Jahren mehrfach zu sehen gewesen.
Eine größere Anzahl der Plastiken hat in die kunst-
geschichtliche Literatur Eingang -gefunden.
Obwohl die Sammlungen nicht ausschließlich rhei-
nisches Kunstgut ihr Eigen nennen, tritt der rhei-
nische Charakter der Sammlungen deutlich zutage.
In ihrer Gesamtheit geben sie ein rundes Bild der
Geschichte rheinischer Plastik vom 12. bis zum Be-
ginn des 16. Jahrhunderts. Beispiele aus Süd-
deutschland und Westfalen, aus Frankreich und
den Niederlanden bezeichnen die Nachbar- und
Einflußzonen und machen dadurch die Verstei-

gerung zu einem bedeutungsvollen Ereignis über
die Rheinlande hinaus.
Von den romanischen Skulpturen verdient die thro-
nende Madonna aus Weidenholz, die im 12. Jahr-
hundert im Rheinland entstanden sein dürfte, große
Beachtung. In ihrer hieratischen Strenge, kubi-
schen Geschlossenheit des Auf baus und streng fron-
talen Haltung stellt sie den Urtyp archaischer Frei-
plastik dar. Schon entwickelter, mit tiefer einge-
schnittenen Falten und verinnerlichtem Ausdruck
ist der trauernde Johannes aus einer großen Kreu-
zigungsgruppe, der wohl zu Beginn des 13. Jahr-
hunderts am Oberrhein geschaffen sein dürfte.
Die Frühgotik vertritt die schlanke Figur einer
klugen Jungfrau, ein charakteristisches Beispiel
französischer Kunst des 13. Jahrhunderts, und eine

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