Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929

DOI issue:
Heft 15
DOI article:
Deusch, Werner R.: Mittelalterliche Plastik Italiens
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0458

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Joseph von Arimathia aus einer Kreuzabnahme-
gruppe Mittelitalien, um 1250

sprochenen Werke entweder auf das Exem-
plar in Aquileja selbst zurückgehen oder
daß alle drei Bildwerke, wie natürlich auch
das später entstandene in Verona, sich von
einem gemeinsamen Urbild ableiten. Die
Möglichkeit, daß die Brüsseler Madonna
nach der Berliner gearbeitet wurde, also
nur eine handwerkliche Wiederholung dar-
stellte, ist nicht nur wegen ihrer ganz spe-
zifischen und einheitlichen stilistischen Ge-
samtwirkung, sondern auch wegen durch-
aus origineller darstellungsmäßiger Ver-
schiedenheiten von der Hand zu weisen. Sie
bezeichnet, wie die Madonna im Dom zu
Aquileja, gegenüber der Berliner Skulptur
eine frühere Entwicklungsstufe, die etwa
der des Taufbeckens in San Giovanni in
Fonte in Verona gleichzustellen ist, wäh-
rend die Berliner Figur in ihrer Faltenge-
bung und der betonten Kontrapostierung
Einflüsse der französischen Plastik verrät,
die sie etwa eine Generation später ent-
standen sein lassen. Die Stoclet-Madonna
läßt noch deutlich eine Befangenheit in der
Tradition des 12. Jahrhunderts erkennen,
wenngleich sie ans äußerste Ende dieser
Periode gerückt werden muß. Ihr gegen-
über repräsentieren die schwingenden Ge-
wandsäume und die rhythmische Ausge-
wogenheit der Berliner Madonna den in-
ternationalen Stil des frühen Ducento, wie
er sich sowohl in französischen wie süd-
deutschen Arbeiten dieser Zeit darbietet.
Das zweite, hier zur Besprechung stehende
Stück der Sammlung Stoclet stellt, wie ein
Vergleich mit den Kreuzabnahmegruppen
in Tivoli, Volterra1 und im ehemaligen

Brüssel, Sammlung- Adolphe Stoclet

Musee van Stolk in Haarlem2 ohne weiteres erkennen läßt, Joseph von Arimathia aus
einer Gruppe der Kreuzabnahme dar, deren übrige Figuren bisher nicht zu ermitteln
waren. Der 14G cm hohen Gestalt aus Nußbaumholz mit Spuren alter Polychromie
fehlen die beiden Füße und der wie bei den Figuren in Tivoli einst angebolzte rechte
Unterarm, während der linke Arm unterhalb der Schulter abgebrochen ist. Diese Be-
schädigungen vermögen jedoch den starken künstlerischen Eindruck der Figur in keiner
Weise zu beeinträchtigen; die ganz außerordentliche Qualität dieses Stückes spricht
deutlich aus der zwingend nach oben drängenden Bewegung, der Intensität der dyna-
mischen Kraft, der sicheren Behandlung der Gewandfalten und dem herrlichen Kopf.
Direkte Schulzusammenhänge mit den andern Josephsgestalten in Tivoli und Haarlem

1 He rmanin, La deposizione di Tivoli, ln »Dedalo« II, pgff., 1921.
2 R. van Marie, Scultui-e in legno italiane del sec. XIII in Olandia. In »Rassegna d’arte« VI,
2ö3ff., 1919. — Musee van Stolk, Vente a Amsterdam les 8 et 9 mai 1928, Nr. 2, J af. 2.
 
Annotationen