Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 21.1929
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https://doi.org/10.11588/diglit.41323#0459
DOI Heft:
Heft 15
DOI Artikel:Deusch, Werner R.: Mittelalterliche Plastik Italiens
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Joseph von Arimathia. Ausschnitt aus der
Kreuzabnahmegruppe im Dom zu Volten a
- daß es sich um eine solche handelt, beweist die weite Tunika, die Joseph auf allen
Kreuzabnahmen, vor allem auch den der gleichzeitigen Miniaturen, trägt, während
sein Helfer Nikodemus jeweils nur mit einem langen, einfach gegürteten Gewand be-
kleidet ist1 — sind aus vielen Einzelheiten ersichtlich, so der Gesamthaltung, der starken
Ahnlichheit der Köpfe und der Behandlung der in einem weiten Bogen über die Brust
fallenden Gewandsäume. Andererseits sind charakteristische Unterschiede nicht zu
übersehen: Die Bewegung, in Tivoli noch ziemlich gehemmt und starr, beginnt fließen-
der und aufstrebender zu werden, der Kopf sinkt weit zurück und bildet einen rhyth-
mischen Ausgleich zu dem nach vorn gehobenen linken Bein. Vor allem aber ver-
wächst das Gewand mit dem Körper, unterstreichen die organisch von der linken Hüfte
zum rechten Oberschenkel in parallel laufenden Kurven gezeichneten Falten die Be-
wegung, während sie in Tivoli noch beinahe wie eine Schale den Körper umschließen.
Diese Ausgeglichenheit in Körper und Gewand erscheint am weitesten fortgeschritten
in dem spätesten Werk, der Kreuzabnahme in Volterra. Wie hingegossen spannt sich
in einem straffen Bogen der Körper des Joseph vom Erdboden zu den Hüften Christi.
Hier zeigt es sich am deutlichsten, daß die ikonographisch auf ein und denselben Typus
zurückgehenden Figuren eine zeitliche Entwicklung aufweisen, die nicht einfach aus
dem Unterschied der Meisterhände erklärt werden kann. Die Gruppe in Tivoli ist
zweifellos die früheste und von Hermanin mit Recht in das erste oder zweite Jahr-
Auf die Bedeutung der Kreuzabnahmegruppe als Kultbild innerhalb der Entwicklung der mittel-
alterlichen Plastik Italiens und auf weiteres, in diesen Zusammenhang gehörendes Material werde
ich an anderer Stelle eingehen.— Zur Ikonographie der Kreuzabnahme vgl. Millet, Recherches
sur 1’iconographie de l’evangile usw., Paris 1916, 467ff., und Rampendahl, Die Ikonographie
der Kreuzabnahme vom g. bis 16. Jahrhundert, Dissertation, Berlin 1916, vor allem jedoch
R. van Marie, De iconographie der afneming van het kruis tot het eind der i4^e eeuw, in
»Gildeboek« 1925, 33 u. 101 ff., der als Einziger die besondere Bedeutung der monumentalen Kreuz-
abnahmegruppen erkannt hat.
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